Finsterherz
er zwei Dinge herausgefunden: den Namen der Stadt, in der das Papier hergestellt worden wa r – den hatte das Wasserzeichen preisgegeben. Er hatte nur jemanden aufzutreiben brauchen, der sich mit solchen Dingen auskannte. An die zweite Information war er ebenso einfach herangekommen: wo eine Nachricht für Doktor Häller zu hinterlassen war, wenn Mathias gefunden würde.
Als König das eine herausbekommen hatte, konnte er sich das andere bereits denken. Und er hatte richtig vermutet, denn es handelte sich um ein und denselben Or t – Felissehaven.
»Eine Handelsstadt«, sagte er, »mit einem Hafen, ausgezeichneten Universitäten und prachtvollen Bauwerken. Aber ihr werdet es ja sehen.«
Sie schauten ihn fragend an. Katta begriff als Erste.
»Er kann nicht reisen«, wandte sie ein.
König warf einen Blick auf die Köhlerin und sie nickte kaum merklich. »Er kann reisen«, sagte er, »Tashka wird sich seiner annehmen.« Dann blickte er Katta direkt an und fügte hinzu: »Und wenn du noch länger hierbleibst, wird sie sich wahrscheinlich auch um dich kümmern.«
Es hätte ein Scherz sein können, doch als Katta in die kalten, dunklen, rachsüchtigen Augen der Köhlerin blickte, fragte sie sich, ob dieser Scherz nicht bitterer Ernst war. Außerdem hatte sie ihre Entscheidung getroffe n – sie wollte reich werden, und wenn das bedeutete, dass sie mit König ziehen musste, würde sie eben mit König ziehen. Zumindest bis sie herausgefunden hatten, was es mit dem Papier auf sich hatte; dann mussten sie einfach ihre Chance ergreifen.
Am nächsten Tag gab König Mathias und Katta dicke Köhlermäntel und Lederstiefel. Katta hatte keine Ahnung, was ihm so viel Macht über die Köhler gab, doch sie taten willig, worum er sie bat, und fragten nicht nach.
Sie waren fast abmarschbereit, als es passierte.
König hatte bereits aufgesessen und verabschiedete sich. Mathias saß vor ihm im Sattel. Katta musste laufen. Gerade als sie die Lichtung verlassen wollten, gesellte sich ein Köhlerjunge zu ihnen. Er war größer als Katta, aber kaum älter. Er hatte schon sein Bündel geschnürt. Anscheinend sollte auch er mitkommen, obwohl König zuvor nichts davon erwähnt hatte. Katta schaute zu, wie er die Satteltasche, die er trug, über den Pferderücken warf, und in ihrem Magen breitete sich ein flaues Gefühl aus. Sie konnte den Blick nicht von ihm wenden. Sein Gesicht hatte sich einst in ihr Gedächtnis eingegraben, als sei es in Stahl graviert. Er war inzwischen älter, natürlich, aber es gab keinen Zweifel.
Er war der Junge, der den Stein geworfen hatte.
Spuren im Schnee
Katta fühlte sich vollkommen kraftlos. Es war, als sei ohne ihr Wissen jemand in sie eingedrungen und hätte den letzten Funken Leben aus ihr herausgepresst. Wie benommen stand sie da und starrte den Jungen an. Er zurrte die Riemen an seinem Bündel fest. Als er sich umdrehte, blickte er sie a n – und durch sie hindurch. Es gab nicht das geringste Anzeichen, dass er sie erkannt hatte. Aber sie kannte ihn. Wie hätte sie ihn je vergessen sollen?
Hass auf diesen Jungen hatte ihr Leben geprägt. Es war ihr nie gelungen loszulassen. Jedes Mal, wenn sie auf dem Boden liegend zu sich kam, beschmutzt und besudelt, oder wenn sie ihre Haube abnahm, um ihr langes, wunderschönes Haar zu wasche n – ganz vorsichtig an der Stelle, an der der Stein sie getroffen hatte und wo der Knochen gebrochen und nun eierschalendünn wa r –, dachte sie an ihn. Dachte wieder und wieder daran, was sie ihm antun würde, falls sie ihm noch einmal begegnete. Der Himmel sei ihm gnädig, sollte das der Fall sein. Sie würde ihn nicht umbringe n – so leicht würde sie es ihm nicht machen. Sie wollte ihm ein Leid zufügen, mit dem er leben musste, so wie sie selbst. Ein Leid, das sein Leben zerstören würde, so wie er ihres zerstört hatte, und er sollte niemals erfahren, warum ihm das widerfahren war. Sie würde es ihm nicht sagen. Er würde mit der schrecklichen Ungerechtigkeit des Schicksals leben müssen, genau wie sie.
Dieser Hass erfüllte all ihre Gedanken, summte in ihrem Kopf wie eine giftige Biene, bis sie entschieden hatte, was sie tun würde, sollte sie ihm noch einmal begegnen: Sie würde ihn blenden.
Er würde mit seiner Dunkelheit leben müssen, wie sie mit ihrer. Es wäre nicht schwierig auszuführen. Sie hatte es in Gedanken so oft getan, dass es ganz einfach geworden war. Er würde schlafen und sie würde sich an ihn heranschleichen, ohne ihn zu wecken,
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