Finsterherz
und mit einem Messer über seine beiden Augen fahren, bevor er auch nur zusammenzucken konnte. So einfach würde es sein.
Das würde sie tun.
Und jetzt stand er plötzlich vor ihr.
Aber es fühlte sich ganz anders an, als sie es sich vorgestellt hatte, jetzt, da er ihr endlich ausgeliefert war. Dass ihr Wunsch Wirklichkeit geworden war, schien zu ungeheuerlich, als dass sie es richtig hätte begreifen können. Deshalb starrte sie nur benommen auf den Jungen, den hohen Schnee und die weißen Bäume dahinter. Dann forderte König sie auf, ihm zu folgen, und ritt von der Lichtung, und Katta musste loslaufen.
Unter den Bäumen lag der Schnee zu hohen Verwehungen aufgetürmt. Es gab keinen Weg, dem sie hätten folgen können, sie mussten sich selbst einen bahnen. Auch wenn sie in die Spuren des Pferdes traten, war jegliches Fortkommen Schwerstarbeit. Der Mantel, den Katta von den Köhlern bekommen hatte, war dick und warm, und bald war sie verschwitzt, missmutig und müde. Doch sie konnte jammern, so viel sie wollte, sie hielten nicht an. König ritt einfach weiter und sie und der Junge folgten, so gut es ging. Dem Jungen schien das nichts auszumachen. Er marschierte unbeirrt durch den Schnee. Zweimal rutschte Katta aus und stürzte, aber sie ließ nicht zu, dass er sie anfasste. Er streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen, aber Katta schlug sie aus. Er zuckte die Schultern, wartete aber trotzdem, bis sie wieder auf den Beinen war, bevor er weiterging. Dann trottete sie von Neuem hinter ihm her, starrte auf seinen Rücken und hasste ihn. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn mehr für das hasste, was er ihr angetan hatte, oder dafür, dass er sich nicht einmal seiner Tat bewusst war.
Mathias saß vor König, die gleichmäßigen Bewegungen des Pferdes wiegten ihn in den Schlaf. Tashka hatte ihm etwas zu trinken gegeben, bevor sie sich auf den Weg gemacht hatten. Die Arznei hatte ihn von innen gewärmt und die Schmerzen betäubt. Er sah den stillen, weißen Wald vorbeigleiten, als würde er selbst langsam an einem dicken Samtband hindurchgezogen.
König redete kaum. Ab und zu fragte er Mathias etwas, was mit Gustav, Häller oder dem Zirkus zu tun hatte, dann schwieg er wieder. Es war, als sänne er über die Antworten nach und würde sich langsam einen Reim auf die ganze Geschichte machen.
Schließlich machten sie Rast. König hatte Proviant dabei, den er unter allen Reisenden aufteilte.
»Wer ist er?«, fragte Katta. Der Junge saß bei Mathias. »Soll er uns ausspionieren wie die Frau?«
»Möchtest du etwas essen?«, fragte König. Er hielt das Brot, das er ihr hatte geben wollen, fest. »Wenn ja, musst du dir bessere Manieren angewöhnen.«
»Dann will ich lieber nichts«, antwortete sie.
Sie war den ganzen Morgen durch den Schnee gestapft und hatte Hunger wie ein Bär, aber das hätte sie niemals zugegeben. Sie schaute zu, wie König das Brot wieder in seine Tasche steckte.
»Er heißt Stefan«, sagte König.
»Warum ist er hier?«
Ohne ihr eine Antwort zu geben, wandte König sich ab und ging hinüber zu den beiden Jungen. Stefan schnitt für Mathias ein Stück kaltes Fleisch ab.
»Wie ist Arm?«, fragte Stefan.
Er sprach mit einem so starken Akzent, dass Mathias sich nicht sicher war, was er gesagt hatte, und Stefan runzelte die Stirn, als sei auch er nicht sicher, ob er die richtigen Worte gewählt hatte. Deshalb griff er sich an die eigene Schulter und da verstand ihn Mathias.
Er nickte. »Es geht.«
»Gut«, sagte Stefan, lächelte und gab Mathias das Fleisch.
Er klappte sein Messer zusammen und steckte es wieder in sein Bündel. Katta beobachtete ihn dabei. Sie war wütend auf Mathias, weil er mit dem Jungen sprach. Wütend auf sich selbst, weil sie Hunger hatte und etwas zu essen hätte haben können. Und sie hatte Angst vor dem, was sie als Nächstes tun würde.
Sie rasteten nicht lange. König hob Mathias wieder in den Sattel, dann saß er selbst auf. Stefan lächelte Katta zu, doch sie ging an ihm vorbei.
Sie waren etwa eine Stunde marschiert, als das Pferd plötzlich mit gespitzten Ohren stehen blieb. Es drehte den Kopf und blickte auf den Weg, den sie gekommen waren. Dann schnaubte es und lief weiter, blieb aber gleich wieder stehen.
»Ruhig, Razor«, sagte König. Das Tier warf den Kopf zurück.
Sie setzten ihren Weg fort, doch König und das Pferd waren veränder t – Mathias spürte es. Sie waren angespannt und aufmerksam. König hatte Stefan und Katta zunächst in einigem Abstand
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