Finsterwald: Fantasy-Roman (German Edition)
Fackeln im Zimmer so kalt, dass sein Atem als weiße Wolke zu sehen war und seine Finger kribbelten.
Tris versetzte sich tiefer in seine magischen Sinne und verstärkte die Schutzzauber, die er rundum in Arontalas ehemaligem Verhörraum gesetzt hatte. Der Geist einer junge Frau namens Esbet hatte sich vor ungefähr einem Monat manifestiert, am Jahrestag ihres Todes. Sie trug die braunen Roben einer Magierin der Schwesternschaft. Sie sah so aus wie in dem Moment ihres Todes: Ihr Habit bestand nur noch aus Fetzen und ihr Körper war von blauen Flecken und tiefen Schnittwunden übersät. Nässende Brandwunden waren an ihren Armen zu sehen. Zwei Finger fehlten ihr und eines ihrer Augen war zugeschwollen. Ihre Todeswunde war ein Schnitt quer über ihre Kehle.
Tris hatte in den Wochen nach seiner Thronbesteigung mit dieser scheußlichen Arbeit begonnen, im Palast von Shekerishet aufzuräumen. Es schien, als ob täglich neue Leichen – und Geister – auftauchten. Jareds Lust, seine plündernden Soldaten und Arontalas Blutmagie hatten unzähligen Opfern in den Verliesen Shekerishets das Leben gekostet.
»Ich kann Euch nicht wieder ins Leben zurückholen. Das ist untersagt.«
Esbets Geist brauchte seine Kraft nicht, um sichtbar zu sein. Sie hatte die Aufmerksamkeit der Dienerschaft des Palastes von allein erhalten, indem sie Töpferware zerbrach, Fenster zerschmetterte, Herdfeuer löschte und die Milch sauer werden ließ.
Esbet zog eine Grimasse. »Von wem verboten? Der Göttin? Wo war sie denn, als die Soldaten mich zum König geschleppt haben? Wo war sie, als ich sie gebraucht habe?«
Das Gespenst schickte Bilder, sie fluteten durch Tris’ Gedanken. Er sah die junge Landmagierin, aufgegriffen von Jareds Männern auf einer Waldstraße. Wurmwurz hatte ihre Sinne vernebelt und sie ihrer magischen Kräfte beraubt, sodass sie sich kaum noch verteidigen konnte. Tris spürte Esbets Furcht, als ihre Erinnerungen an Arontalas Verlies über ihn hinwegspülten. In Esbets Erinnerungen sah Tris, wie Arontala ihr mit Zauberei und Drogen zusetzte und ihrem Geist das entriss, was er ihr mit seinen Folterwerkzeugen nicht entlocken konnte. Als würden die Wände um sie herum eine Erinnerung an das Blutvergießen selbst bewahren, wurden die Bilder stärker, als der Magische Geist ihn dazu zwang, ihre letzten Augenblicke mit anzusehen. Von Arontala gebrochen, von den Wachen mit Gewalt genommen, war Esbets letzter Ausweg der Wahnsinn. Tris fühlte in seinen Gedanken den Schmerz, den die Klinge verursacht hatte, die Esbet das Leben genommen hatte. Er spürte die zunehmende Kälte, als ihr Blut den Steintisch in einen Kelch herabrann, aus dem Arontala trinken würde.
Tris rang die Vision nieder. Der Schmerz des Geistes und seine Wut hüllten ihn ein. »Sie haben alles genommen!«, schrie Esbet. »Räche mich!«
Tris kämpfte darum, seinen Verstand frei zu halten, während die Gefühle des Geistes wieder und wieder über ihn hinwegspülten. »Ich habe die Lady selbst gesehen«, erwiderte Tris. »Aber ich kann nicht einmal vorgeben zu wissen, warum sie manchmal ihr Gesicht schweigend abwendet. Jared hat meine Familie getötet. Ich habe nicht versucht, sie zurückzuholen, so sehr ich das auch wollte. Aber ich habe ihnen Frieden gegeben und den Weg zur Lady erleichtert.«
»Das ist nicht genug!«, kreischte der Geist und warf sich wütend auf ihn. Tris zog eilig einen Schutzkreis um sich und die Wiedergängerin heulte und wehklagte. Esbets Ärger verwandelte ihren Geist in ein verzerrtes Gesicht, mit weit offenem Maul und dunklen, augenlosen Höhlen. Die Energie ihres Angriffs prallte auf die hauchdünne, funkelnde Barriere seines Schutzzaubers und das Heulen wurde in der Frustration noch lauter.
Tris wusste, dass Esbet ihn liebend gerne zerrissen hätte, so besessen, wie sie von Trauer und Schrecken war. Er war innerhalb der Kammer des äußeren Schutzzaubers und dank seiner inneren Schilde sicher vor ihrer Rache, obwohl sie sich gegen die magische Barriere warf und die Luft von ihren Flüchen erfüllt war. Beinahe einen Kerzenabschnitt später ließen die Attacken nach. Der Geist streckte sich nach seinem inneren Schutz aus und wurde dünner und dünner, bis er den schützenden Schild ganz bedeckte. Wie die einzelnen Schichten eines Wespennestes zerbarst er in Stücke und verschwand.
»Esbet«, rief Tris sie freundlich. »Wir sind noch nicht am Ende.« Seine Stimme war sanft, doch dahinter standen die Kraft eines Seelenrufers und der
Weitere Kostenlose Bücher