Fire - Thriller
könnte.«
»Ihnen helfen?«, blaffte ich. »Meine Familie wurde entführt. Meine Familie. Haben Sie eine Ahnung, wie das ist?«
»Ich glaube, ja. Wir möchten Ihnen helfen, Dr. Cross. Sagen Sie uns einfach, was Sie wissen.«
»Oder sonst? Was können sie mir sonst noch antun?«
»Die korrekte Frage lautet: Was können sie Ihrer Familie antun?«
Flaherty hinterließ eine Nummer, unter der ich ihn Tag und Nacht erreichen könnte.
Zumindest ging das Schwein ebenfalls spät ins Bett.
137
Ein klingelndes Telefon weckte mich aus meinem Dämmerschlaf auf dem Sofa im Wohnzimmer. Mit kribbelnden Armen und Beinen griff ich verschlafen zum Hörer.
»Cross.«
»Geh gleich zu deinem Wagen. Wir beobachten dein Haus, Cross. Lichter brennen oben und in der Küche. Du hast im Wohnzimmer geschlafen.«
Eine männliche Stimme. Englisch mit Pidgin-Akzent. In den letzten Wochen hatte ich eine Menge davon gehört, doch jetzt war ich besonders darauf geeicht.
»Geht es meiner Familie gut?«, fragte ich. »Wo ist sie? Sag schon, los.«
»Nimm dein Handy mit. Wir haben die Nummer. Weitere Anweisungen folgen. Ruf niemanden an, sonst ist deine Familie tot. Geh jetzt, Cross. Hör gut zu.«
Ich saß kerzengerade auf dem Sofa und starrte aus dem Wohnzimmerfenster, während ich in meine Schuhe schlüpfte. Draußen war nichts und niemand zu sehen, keine Autos und Lichter.
»Warum sollte ich dir zuhören?«, fragte ich den Anrufer.
»Weil ich es sage!«, meldete sich eine andere Stimme zu Wort.
Am anderen Ende wurde aufgelegt. Die zweite Stimme hatte schroff und älter als die erste geklungen. Ich hatte sie gleich erkannt.
Der Tiger. Er war hier in Washington. Er hatte meine Familie.
138
Plötzlich fielen mir noch viel mehr Fragen ein.
Woher hatte er die Nummer des Mobiltelefons, das ich mir geliehen hatte?
Es war ja nicht unmöglich, eine solche Nummer herauszufinden, doch wie hatte eine Gangsterbande aus Nigeria dies angestellt?
Ich neigte nicht zu Verschwörungstheorien, doch es wurde immer schwieriger, das Offensichtliche zu leugnen. Jemand wollte wissen, was ich in Afrika herausgefunden hatte, und mich ein für alle Mal zum Schweigen bringen.
Etwa eine Minute nach dem Telefonat trat ich hinaus auf die Veranda vorm Haus, auf der ich das Licht ausgeschaltet hatte. Noch immer sah ich niemanden, der mich von der Straße aus beobachtete.
Wo steckten sie? Waren sie bereits fort? Saßen Nana und die Kinder hier in der Nähe, gefangen in einem Laster oder Transporter?
Ich wollte nicht länger Zielscheibe spielen als nötig. Also eilte ich die Stufen hinunter zum Mercedes – dem Familienauto, das ich aus Sicherheitsgründen gekauft hatte.
Ich startete den Wagen und fuhr rückwärts aus der Einfahrt. Ich spürte den starken Motor und dachte, dass ich genau das brauchte – die Hilfe einer äußeren Kraft.
Als das Mobiltelefon klingelte, hielt ich an.
»Du spielst ja immer noch den Verrückten.« Der Ältere hatte sich gemeldet. Am liebsten hätte ich ihn beschimpft, hielt mich aber zurück. Er könnte meine Familie haben. Obwohl dies schwerlich als Hoffnung zu werten war, hoffte ich trotzdem. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, dachte ich.
Er lachte ins Telefon.
»Was ist so lustig?«, wollte ich wissen.
»Du. Willst du nicht wissen, welche Richtung du einschlagen sollst?«, fragte er.
»Welche Richtung?«
»Nach links. Dann folgst du meiner Wegbeschreibung direkt in die Hölle.«
139
Er blieb in der Leitung, während ich die Fifth Street entlangfuhr, sagte aber nicht viel – und vor allem nichts, was mir bei meinem weiteren Vorgehen hätte helfen können. Ich versuchte, eine Art Plan zu schmieden, mir irgendetwas auszudenken, was wenigstens annähernd eine Chance auf Erfolg hatte.
»Lass mich mit meiner Familie sprechen«, bat ich erneut.
»Warum sollte ich?«
Ich überlegte, auf die Bremse zu treten und einfach stehen zu bleiben, doch er saß am längeren Hebel.
»Welche Richtung?«, fragte ich stattdessen.
»An der nächsten Ecke rechts.«
Ich bog ab.
»Der Kampf in Afrika ist nicht dein Kampf, weißer Mann!« Der Tiger spuckte Galle, während ich die Malcolm X Avenue in Southeast entlangfuhr. »Du solltest schneller fahren«, riet er, als würde er gleich hier neben mir sitzen und mich beobachten.
Er lenkte mich auf die I-295 Richtung Süden nach Maryland. Diese Straße war ich bereits unzählige Male entlanggefahren, doch an diesem Abend kam sie mir unwirklich und fremd vor.
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