Firkin 03 - Das Wurmloch ins Biblioversum
drei: das Schlafgemach des Königs. Hier war es! Mit einem kaum hörbaren Geräusch wurde vom linken Auge auf dem Porträt von König Klemm, dem Ausweglosen, ein kleines Leinwandstück weggenommen. Fisk drückte die Nase an die Rückseite des Gemäldes und feixte hämisch. Die Augenlider des schlafenden Monarchen zitterten und flatterten: der König träumte, er befand sich in einem Zustand, in dem er für suggestive Einflüsterungen äußerst empfänglich war! Perfekt, absolut perfekt!
Blitzschnell hatte Fisk eine kleine Geheimtür entriegelt und war im Schlafgemach des Königs verschwunden, mitsamt der weiß gestrichenen Kürbisflasche und dem Weidenkorb.
König Kharthezsh stöhnte im Schlaf und wälzte sich im Bett hin und her. Tiefe Furchen zogen sich durch die schweißnasse Stirn, es sah beinahe so aus, als tobe ein Aufruhr im Gehirn des Königs, als stürzten ihn Alpträume in heillos panische Verwirrung. Es sah nicht nur so aus.
Alle Vorfälle der jüngsten Vergangenheit tanzten und wirbelten durch seine Träume, spotteten mit irrem, keckerndem Lachen und schreckten ihn mit Gesichtern, die wie verzerrte Totenmasken waren: Trolle zerstörten mit seismisch dröhnenden Schritten den Marktplatz und zertrümmerten, zerstörungswütig wie kriegslüsterne Mongolenhorden, den Palast; Drachen schwangen sich in die Lüfte, stürzten feuerspeiend auf Schloß Isolon herab, legten mit gewaltigen, allesverschlingenden Feuerstößen die Mauern in Asche und rösteten und grillten alles und jedes, unaufhörlich und unaufhaltsam. Das ganze Königreich flammte und blitzte, brannte und brach vor seinen Augen zusammen. Und das auf Überformatbreitwand, in Farbe, mit voller Lautstärke und Dolby-Sound: Das Ende von Kharthezsh’ Welt, in einer vom Regisseur erstellten gedrängten Kurzfassung, die nicht einmal Zeit für eine kurze Pause ließ, damit man sich Popcorn und Eis kaufen konnte.
Fisk stellte den Korb mit der Kürbisflasche am Fußende des Betts ab, beugte sich über den von Alpträumen gequälten Monarchen und feixte eiskalt und bösartig.
Vlad lugte durch die linke Augenhöhle von König Klemm und sah, wie sich Fisk noch näher über den König beugte und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
Aus dem Rauch und den Flammen des rußschwarzen Schlosses Isolon tauchte ein riesiges dunkles Gesicht auf, schwebte unheilvoll über den schauerlichen Staubwolken, die über Cranachan hingen, drehte sich und starrte Kharthezsh böse an. Eine schwarze Lederklappe verdeckte ein Auge, wie rußiger Qualm löste sich kohlschwarzes Haar in den aufsteigenden Rauchschwaden auf, der glutrote Schein der züngelnden Flammen leuchtete auf der wie ein Sensenblatt gebogenen Nase und auf der zu einem bösen Feixen hochgezogenen Oberlippe. Der riesige Mund öffnete sich, atmete ein und stieß dann fauchend und zischend Worte hervor.
»Pfui, pfui! So ein unartiger König aber auch!«
Kharthezsh schrie im Traum auf. Der Atem, den die dämonische Fratze ausstieß, riß ihm die Krone vom Kopf und den Mantel von den Schultern.
»Was du bisher erlebt hast, das waren nur Probierhäppchen!« brüllte das Gesicht. »Ich bin der Herr der Drachen, und sie tun alles, was ich ihnen befehle!«
Kharthezsh schauderte. Glitzernde Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, unruhig warf er sich im Bett hin und her.
»Wenn du genau das tust, was ich dir sage, dann kannst du behalten, was von deinem geliebten Reich noch übrig ist. Wenn nicht, dann wird die krankhaft eifersüchtige Drachenmutter erfahren, wer ihr das Ei gestohlen hat. Sie wird erfahren, daß es hier, am Fußende deines Betts, liegt, und sie wird erfahren, wie sie hierherfindet! Kapiert?«
Kharthezsh schauderte wieder und nickte.
»Und jetzt werde ich dir sagen, was ich will …«
Fassungslos sah Vlad, wie Fisk dem von Angstträumen gepeinigten König den Katalog seiner Forderungen ins Ohr flüsterte und am Ende noch eine schreckliche Warnung aussprach.
»Laß dir ja nicht einfallen, das Ei auch nur anzufassen! Menschengeruch hält lange an, und Drachen haben überaus sensible Nasen und vergessen nie, wenn sie einmal Rache geschworen haben!«
Still und leise verließ Fisk den zu Tode geängstigten König und verschwand. Nur im Geist rieb er sich die Hände und feierte seinen Triumph, den Sieg der abgrundtiefen Verderbtheit. Und nur mit Mühe konnte er sich davon abhalten, aufgeregt zu kreischen.
Nicht mehr lange, dann wäre alles vorbei. Es war nur noch eine Frage der Zeit …
Heimlich
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