Firkin 03 - Das Wurmloch ins Biblioversum
schlichen sie sich durch die mondbeschienenen Häuserzeilen und Gäßchen des befestigten Reichspalastes von Cranachan. Flaezz platzte fast vor Neugier. »Bharkleed!« flüsterte er. Und stolperte über den Flügel des annähernd zwei Meter großen Pergamentcherubs, den er mit sich trug. »Was zum Teufel machen wir eigentlich?«
»Geduld, Bruder Flaezz. Bald wirst du verstehen«, antwortete Bharkleed und manövrierte einen ähnlich großen Engel an einem großen dunkelgrünen Busch vorbei.
»Von wegen Geduld! Ich will endlich wissen, wozu ich diesen Cherub mit mir rumschleppe!«
»Für den König, wenn du’s genau wissen willst«, fuhr ihn Bharkleed an.
»Großartig! Hast du jetzt auch noch den letzten Rest deines winzigen Verstandes verloren?« knurrte Flaezz. »Ich bin doch nicht hergekommen, um ein Krippenspiel aufzuführen!«
»Ich auch nicht.« Bharkleed schlich nach links und verschwand durch eine winzige Tür. Er knurrte gereizt, als dabei der Engelsflügel verknautschte und der Heiligenschein einen Fleck bekam. Bruder Wenzl plagte sich murrend mit seinem Engel durch die Tür.
»Was soll das heißen?« fragte Flaezz kurz darauf, nachdem er mit seinem selbstgebastelten Cherub das Hindernis überwunden hatte.
»Die sind nicht für ein Krippenspiel«, sagte Bharkleed. »Wär ja wohl auch die falsche Jahreszeit. Ich dachte, du hättest dich mit der Bearbeitung von Geistlichen Spielen befaßt?«
»Ja, also … ein bißchen«, gestand Flaezz. »Aber mit so was hatte das nichts zu tun!« Er schüttelte aufgeregt seinen Cherub.
»Stimmt«, murmelte Bharkleed und bog scharf links ab. Dann blieb er stehen, legte eindringlich den Finger an die Lippen, blickte nach oben und flüsterte: »Wir sind da!«
»Da?« Flaezz sah sich entgeistert um: Sie standen in einem kleinen verlassenen Hof, vor einer nackten, steilen Wand mit einem einsamen Fenster.
»Perfekt! Müßte genau die richtige Zeit sein«, flüsterte Bharkleed nach einem Blick auf seine hübsche neue Taschensonnenuhr (Modell Nocturne), die er in Krillingen hatte mitgehen lassen. »Jetzt müßte er eigentlich soweit sein.«
»Wer müßte wie weit sein?« Flaezz verzweifelte allmählich. »Los, erklär’s uns schon endlich!«
»Der König!« knurrte Bharkleed. »Hast du nicht zugehört?«
»Doch, aber ich versteh immer noch nicht …«
»Na schön!« Bharkleed gab nach. »Aber viel Zeit haben wir nicht. Wir müssen schnell machen. Also: Was verstehst du nicht?« fragte er, während er in dem Gebüsch am Fuße der Mauer herumstöberte.
»Alles!« stöhnte Flaezz.
»Ach, nur?« meinte Bharkleed, der mehrere lange Zweige und ein Bindfadenknäuel aus dem Gebüsch holte. »Bindet die hier schon mal zusammen, ich erkläre es euch unterdessen«, sagte er und hockte sich – Stecken in der einen, Schnur in der anderen Hand – im Schneidersitz auf den Boden. Wenzl blickte Flaezz fassungslos an und hockte sich ebenfalls hin.
»Dort oben«, flüsterte Bharkleed und zeigte auf das Fenster, »ist der König. Und jetzt, kurz nach drei Uhr morgens, ist er wahrscheinlich am wehrlosesten.« Geschickt band er zwei kurze Stecken zu einem langen zusammen.
»Heißt das, wir wollen ihn überfallen?« krächzte Wenzl enthusiastisch. »Aber wie sollen wir denn da raufkommen?«
»Mit diesen Stecken natürlich, Blödmann!« blaffte ihn Flaezz an. Der Knoten, der er gerade zu knüpfen versucht hatte, löste sich vor seinen Augen wieder auf.
»Aber das ist ja ewig hoch oben…«, wandte Wenzl ein. »Und diese Stecken halten mein Gewicht niemals aus!«
»Nein, nein. Halt die Klappe und hör zu«, knurrte ihn Bharkleed an. »Wir werden da auch nicht raufklettern. Wir schicken geflügelte Boten zu ihm!«
»Hä? Meinst du Brieftauben?«
»Nein! Die hier!« Bharkleed schüttelte seinen Engel. Mit Nachdruck.
Wenzl, dem die Zunge immer noch aus dem Mundwinkel hing, so sehr hatte er sich konzentriert – Wenzl glotzte Bharkleed jetzt noch entgeisterter an als vor Beginn des Aufklärungsunterrichts.
»Paßt auf«, sagte Bharkleed entnervt. »Unser lieber König da oben hat, wenn Zuveth pünktlich war, vor fünf Stunden sein Abendessen beendet und ist ins Bett gegangen.«
»Wo ich jetzt auch liegen sollte«, brummelte Flaezz.
»Und?« Wenzl begutachtete mit finsterem Blick eine ziemlich schlampig geknotete Verbindungsstelle.
»Er hat Neunaugen zum Abendmahl gegessen!« Bharkleeds Flüstern hörte sich an, als wispere er in Kursivschrift und fettgedruckt.
»Ja, und?«
Weitere Kostenlose Bücher