Firkin 05 - Fahrenheit 666
begrüßt, in die anscheinend schon lange kein Besucher mehr einen Fuß gesetzt hatte, und nichts erinnerte auch nur im Entferntesten daran, was mit der Schwarzen Garde hätte in Verbindung gebracht werden können. Es handelte sich um jene Art von Stille, bei der sich J’hadd unwillkürlich genötigt sah, nervös vor sich hin zu brabbeln.
»Hallo, ist da jemand?« brabbelte J’hadd nervös vor sich hin.
Als Antwort erhielt er lediglich ein Geräusch, das von Rattenkrallen stammte, die über den schattigen Steinboden huschten.
»Aha! Das ist also das Spiel, das ihr mit mir treiben wollt, wie? Schatzsuche. Wie phantasielos!«
Er schnaufte abfällig und zuckte resigniert mit den Achseln. Dann begann er, mit einer Kerze bewaffnet, die Räumlichkeiten von oben bis unten durchzukämmen; er lugte in den sonderbar unbenutzt aussehenden Opferstock hinein, kroch hinter den Altar und erforschte die Sakristei. Jedes einzelne Gesangsbuch stellte er auf den Kopf und schüttelte es in der Hoffnung, es könnte ein Pergamentfetzen mit einem wichtigen Hinweis herausflattern.
Doch er fand nichts. Das heißt, bis sein Blick auf eine merkwürdige Ansammlung unleserlicher Buchstaben auf dem Boden fiel. Im Nu löste sich seine Verzweiflung in Wohlgefallen auf und wurde durch den schrillen Mißklang ersetzt, den die bei ihm ausgelösten Alarmglocken erzeugten. Sein durch den unverhofften Adrenalinschub geschärftes Bewußtsein nahm die Bilder durch geweitete Pupillen hindurch auf und saugte sie im Staubbeutel seines unaufgeräumten Verstandes auf, wo sie gefiltert und gesammelt wurden. Und dann blickte J’hadd so drein, wie man es von ihm erwartete; nämlich ziemlich verständnislos. Na gut, immerhin ist das ein Anhaltspunkt. Aber was hat es zu bedeuten?
Um die neuen Beweise näher zu betrachten, beugte er sich nach unten und entdeckte viel mehr, als er erwartet hatte. Es lag verkehrt herum unter einer Kirchenbank, wo es von einem von Panik ergriffenen Menschen hingeschmissen worden war, der in den letzten verzweifelten Augenblicken seines Lebens auf dieser vergänglichen Erde wild mit den Armen herumgefuchtelt hatte. Dem Buchrücken nach zu urteilen, handelte es sich um einen dieser billigen Pergamentwälzer, für die der Handschriftenklub solch haarsträubende Preise verlangte. Grunzend stöberte J’hadd unter der Kirchenbank herum, zog es hervor und beleuchtete mit der Kerze die vergoldete Schrift auf dem Buchrücken. Verwirrt und aufgeregt schnappte er nach Luft, als er den Titel las.
TELEPENETRANZ LEICHTGEMACHT
Mentalsuggestive Gedankenübertragung in vierundzwanzig Lektionen
Einige wenige Gehirnzellen, die für das Erinnerungsvermögen zuständig waren, kratzten sich an ihrem kollektiven Selbstverständnis und fragten sich, wo sie das Wort ›Telepenetranz‹ zuvor schon einmal gehört hatten. Sie wurden von J’hadd geflissentlich übersehen, denn er wußte bereits, daß das der entscheidende Hinweis war, den die Schwarze Garde hier für ihn versteckt hatte. Seine Miene erhellte sich, als er mit Stolz daran dachte, wie leicht er diesen Schatz gefunden hatte. Ganze vier Stunden hatte er gebraucht: das reinste Kinderspiel! O ja, er hatte das Zeug zu einer ganz großen GURU-Karriere – hier stand der zukünftige Keuschheitsinspektor!
Er schlug den Wälzer auf, setzte den rechten Zeigefinger unter das erste Wort und machte sich an die Arbeit, um den gräßlichen Code zu knacken, der irgendwo in diesen Text eingebunden sein mußte.
›Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl des Vorschlagtitels aus unserem neuen Programm und ein ebenso herzliches Willkommen zu einer Zukunft mit fast grenzenlosen Möglichkeiten …‹
…und es gab noch dreihundertundsechs weitere solche Seiten wie diese. Au Backe!
In einem seiner vielen Lagerhäuser am Rande von Cranachan saß Khar Pahcheeno hinter einem ramponierten Eichenschreibtisch und starrte fassungslos auf die vor ihm liegende Pergamentliste. Es war eine beeindruckende Liste – achtzehn Dutzend Stöckelschuhe in Größe fünfundvierzig, sechsundsiebzig Bottiche feinstes Stützkorsettmaterial aus Fischbein, dreihundert Meter anschmiegsames feuerrotes Leder, zwölf Kisten mit ausgewählten Peitschen, Handfesseln und Lederriemen – und das alles war ausschließlich für das Vestibül der Begierde bestimmt. Es gab noch sechs weitere solcher Listen. Jeden dieser Artikel hatte er in einem seiner zahlreichen Lagerhäuser vorrätig (und falls nicht, mußte der betreffende
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