Firkin 05 - Fahrenheit 666
brüllte er mit klagender Stimme und warf dabei die Arme in einer melodramatischen Geste weit auseinander. »Ich hätte diese Unwissenden bekehren können, ich hätte ihnen das Licht gezeigt, das sie aus der kargen Wildnis des Leids auf die saftigen Weiden der Freude geführt hätte!« Bei seinem von Schuldgefühlen geprägten Redeschwall schwang die ganze Zeit ein flehender Unterton mit. »Ich hätte ihnen ihre Not genommen und ihnen die Sterne gezeigt! Nur eine Minute länger, nur eine einzige Minute länger, und aus ihrem weinerlichen Schluchzen wäre ein verzücktes Jauchzen geworden, ich hätte …«
»Und was willst du jetzt dagegen tun?« unterbrach ihn Alea.
Papst Uri hielt inne und starrte das Mädchen verdutzt an. »Was ich dagegen tun will …?« Ihm war bewußt, daß sich der Prediger in ihm nach Vergeltung sehnte.
»Ja, ganz genau«, bekräftigte Alea. »Schließlich hat man dir nicht nur die Schafe gestohlen, sondern dich in aller Öffentlichkeit zum Volltrottel gemacht und dich davon abgehalten, Hunderte von Schafhirten zu bekehren. Also, was passiert jetzt? Oder willst du dir das alles einfach so gefallen lassen, hä?«
Verzweifelt versuchte Uri die Fassung zu bewahren. »Ähm … sobald wir Pfarrer Schimpf gefangengenommen haben, werden wir aus ihm ein Geständnis herausprügeln … also, ich meine, ihm anbieten zu gestehen, was er mit den Schafen gemacht hat … und dann … dann …«, stammelte der Papst, ohne zu bemerken, daß Alea seit einiger Zeit zweistimmig sprach.
»Das wird nichts nützen«, sagte sie kopfschüttelnd. »Auf diese Weise wirst du deine Schafe niemals zurückbekommen.«
Ein Anflug von Wahnsinn huschte über Papst Uris Gesicht. »Eine gehörige Tracht Prügel hat noch nie jemandem geschadet!« kreischte er völlig außer sich, ehe er sich wieder einigermaßen die Beherrschung zurückgewann. »Na ja, jedenfalls hat das in der Vergangenheit immer gewirkt …«
»Ha! Dieses Mal bestimmt nicht. Schimpf hat die Schafe ja nicht selbst«, zischte Alea, »sondern hat mit den D’vanouinen zusammengearbeitet!«
Nabob kreischte vor infernalischem Lachen, als er das bloße Entsetzen auf dem Gesicht des Papstes sah. Er wußte, welche Wirkung die Erwähnung dieser Heiden auf den Geistlichen hätte.
Kaum zu bändigender Zorn stieg in Uri auf. Zwar hätte er sich noch einigermaßen damit abfinden können, zum Narren gehalten worden zu sein … aber ganz bestimmt nicht von einem Haufen Heiden!
»Ganz genau!« zischte Alea und formte die brodelnden Gedanken des Papstes sorgsam in aufrührerische Worte. »Diese gottlosen Heiden haben deine Herde gestohlen! Bei dem Gedanken an deine Lämmer fließt ihnen der Speichel über die blasphemischen Zungen …«
Uri wurde immer blasser, während die Wahrheit gnadenlos auf ihn niederprasselte. Seine Hände öffneten und schlossen sich krampfhaft und griffen im Geiste nach Dolchen, Säbeln, Mistgabeln …
Nabob knüpfte ein Netz aus Lügen und schmückendem Beiwerk und schlüpfte immer tiefer in Aleas Verstand. Dann konzentrierte er sich auf die lebhafte Vorstellung von D’vanouinen, die im Sonnenuntergang um ein loderndes Feuer herumtanzten und an Spießen saftige Lämmer brieten. »Und genau in diesem Augenblick«, zischte Alea mit teuflischer Stimme, »schüren diese Feinde Gottes das Feuer, schärfen die Messer und schneiden die Fladenbrote durch!«
Papst Uri kräuselte wütend die Lippen, als er in den Kreuzgang einbog und auf die Waffenkammer der Abtei zu stampfte. Wie ein undurchdringlicher Nebel stieg in seinem Kopf der Gedanke an einen heiligen Krieg auf und erstickte die Stimmen, die eine friedliche Beilegung befürworteten und sich im Gegenzug für eine mögliche ›Politik der offenen Tür für den Schafhandel‹ einsetzten …
Nabob bereitete sich auf den endgültigen Schlag vor, auf den letzten Stoß, um Papst Uri den rutschigen Abhang hinunterschlittern zu lassen. Wenn Uri tatsächlich den Krieg erklären sollte, dann mußte jetzt jedes Wort sorgfältig gewählt werden. Er legte eine Denkpause ein, wobei ihm klar war, daß Papst Uri ganz oben auf der Rutschbahn der Gefühle längst arg ins Taumeln geraten war und es nicht so einfach wäre, ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen …
Und in diesem kurzen Augenblick des Zauderns war plötzlich der Schwung heraus. Unversehens nahmen Aleas Gedanken eine andere Richtung ein.
Nabob rollte die Augen, als er spürte, wie er die Kontrolle über das kleine Mädchen
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