Firkin 05 - Fahrenheit 666
unten abspielte. Beide Augenbrauen waren so hoch gezogen, als wollten sie sich nach oben verkriechen. Obwohl er die Hand fest vor den Mund preßte, war ein dumpfer Angstschrei zu hören, während seine Augen auf die Größe des d’vanouinischen Lagers dort unten anzuschwellen schienen. Bis zum Horizont dehnten sich die spitzen Zelte aus. Auf jedem Zelt flatterte ein anderes Banner stolz im Wind, und jedes war mit viel zu vielen Waffen vollgestopft. Der Späher zitterte vor Aufregung am ganzen Körper, und als er die Stärke der dort unten versammelten Truppen abzuschätzen versuchte, machte er sich vor Angst fast in die Hose. Zwar hatte er sich innerlich darauf eingestellt gehabt, dort unten im Tal auf eine ganze Menge Feinde zu stoßen, doch hätte er niemals mit so vielen gerechnet. Nicht mit achttausend Irren, die allesamt in d’vanouinischer Wüstentracht steckten und mit Krummsäbeln bewaffnet unruhig um eine riesige Herde aufgescheuchter Schafe herumrannten. Als er wegen mangelnder Zahlenkenntnis schlichtweg nicht mehr weiterzählen konnte, kam er zu dem Schluß, daß die Lage wirklich völlig außer Kontrolle geraten war – dreiundzwanzig Raubüberfälle allein in dieser einzigen Woche. In ganz Südrhyngill war um nichts in der Welt mehr ein Schaf zu bekommen. Und es war erst Dienstag. Dennoch gab es nirgendwo Hinweise auf Zangen. Leise vor sich hin wimmernd, robbte er vom oberen Dünenrand zurück und krabbelte auf allen vieren in Richtung der wartenden Truppe.
»Meldung erstatten, Gefreiter J’hadd!« bellte ihn eine Gestalt an, die einen noch stoppeligeren Haarschnitt als er hatte.
Knalli J’hadd starrte Dicki Succingo und die anderen Missionare, die sich um den Mönchshauptmann herum gedrängt hatten, entsetzt an und wäre am liebsten im Boden versunken. Es sah nicht gut aus.
»Es sieht nicht gut aus«, berichtete er deshalb wahrheitsgemäß. »Da unten sind so viele, daß es wohl kaum reicht, ihnen nur mit dem Stock zu drohen, Chef.«
»Wir wollen denen auch gar nicht mit dem Stock drohen, sondern hiermit!« brüllte Succingo und tätschelte die Mündung seiner neu entwickelten Uri-9-mm-Antiketzerarmbrust. »Gibt’s irgendwelche Geiseln?«
»Fogar viele, Fef …«
»Hör mit dem Nägelkauen auf, Gefreiter!« schrie Succingo und starrte J’hadd mit finsterem Blick an.
»Ähm … sogar viele, Chef.«
»Diese verdammten Mistkerle! Warum konnten die unsere Schafe nicht einfach in Ruhe lassen? Finger aus dem Mund, Gefreiter J’hadd!«
Succingo blickte J’hadd eindringlich an, der verlegen ein würgendes Geräusch von sich gab und mit schamrotem Gesicht die verführerischen Fingernägel tief in die Falten der Soutane vergrub. Das Leben an der Front konnte schon sehr hart sein. Genauso wie Succingos Blicke. Dennoch wunderte sich J’hadd ein wenig, wie schnell er von allem die Nase gestrichen voll hatte. Vor allem von den Befehlen.
Unbemerkt wurden sie von einem neunjährigen Mädchen beobachtet, das hinter einem dichten Steppengrasbüschel hockte und sich im Geist den größten und lautesten AS-Mönch ausguckte. Der Mann wäre ein echter Gewinn, stimmte Flagit dreihundert Meter unter der Erde Alea zu.
Mit einer Serie sakraler Gesten und einer abschließenden Segnung wandte sich Mönchshauptmann Succingo entschlossen ab und marschierte über den Dünenkamm. Die AS-Wüstenmissionare folgten jedem seiner gekonnt gesetzten Schritte. Dann rannte Succingo, die Knie fast bis zur Brust, die Düne hinunter, versteckte sich hinter Grasbüscheln und ließ sich leise in einen Schützengraben fallen. Die vierundzwanzig schwerbewaffneten AS-Mönche folgten ihm in ihren Tarnsoutanen.
Jenseits des Grabens blökten aufgeregt einige Lämmer, als man ihnen luftschlangenähnliche Zündschnüre aus blauem Pergament um den Bauch wickelte und sie mit gefesselten Beinen kopfüber an maibaumartigen Pfählen hochzog. Knalli J’hadd erschauderte, als etliche öldurchtränkte Fackeln angezündet wurden, die das ganze Geschehen in ein gespenstisch flackerndes Licht tauchten. Überall erschallten die Freudenschreie der D’vanouinen, und während die Flammen ihre dunkelhäutigen Gesichter erhellten, sah man, wie wild entschlossen sie waren, in einem unheiligen Akt die Lämmer Gottes bei lebendigem Leib zu rösten.
J’hadd konnte immer noch nicht glauben, in welch kurzer Zeit der Herdenkrieg derartig außer Kontrolle hatte geraten können. Und er, Mönchsgefreiter Knalli J’hadd, war von Anfang an dabei gewesen,
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