Firkin 1: Der Appendix des Zauberers
ein Häuflein Menschen und schwieg verlegen. Keiner wußte so recht, was er sagen, und keiner wußte so recht, wie er sich verhalten sollte. Firkin wußte nur, daß die drei Freunde, die ihm und Hogshead in der schwersten Zeit ihres Lebens beigestanden hatten und ihnen geholfen hatten – daß diese Begleiter schon bald nicht mehr bei ihnen sein und sie für immer verlassen würden. Firkin hatte noch nie im Leben eine vergleichbare Erfahrung gemacht. Er hatte Leute weggehen sehen, hatte sich von Leuten verabschiedet und hatte jedesmal gewußt, daß er sie wiedersehen würde – vielleicht nach einem halben Jahr, oder erst nach einem Jahr möglicherweise erst auch nach längerer Zeit … Doch jedes Mal hatte er sich darauf verlassen können, daß sie irgendwann wieder zur Tür hereinkommen, um eine Ecke biegen oder den Berg herunterlaufen würden. So war es immer gewesen. Bisher …
Diesmal war es anders.
Tief drunten im Tal zogen die Menschen in Scharen nach Schloß Isolon. Keiner, der zum Fest geladen worden war, hatte lange überlegt. Aus allen Richtungen strömten sie zusammen, kamen zu Pferd oder gingen zu Fuß, hockten auf und in allen möglichen Fuhrwerken – alles, was rollte, rutschte und rumpelte, mußte als Fahrzeug herhalten. Manche von diesen Fahrzeugen waren mit Bändern und Girlanden geschmückt, mit einem Blumenmeer oder leuchtendbunten Pergamentbahnen bedeckt, und die Garderobe, die die Festbesucher aus den Kleiderschränken geholt hatten, war nicht weniger leuchtend bunt und farbenprächtig. Es war ein prachtvoller Anblick, ein Anblick, bei dem selbst ein pessimistischen Zyniker wenigstens ein bißchen Freude empfunden hätte. Eigentlich hatten Firkin und Hogshead das möglich gemacht. Und eigentlich hätte man es Firkin und Hogshead nicht verdenken können, wenn ihnen vor Stolz die Brust geschwollen wäre, weil ihr Herz voll war von grenzenlosem Glück. So wäre es unter normalen Bedingungen wohl auch gewesen. Doch jetzt, als sie im sanften kühlen Abendwind auf dieser kahlen Bergkuppe standen, von niemandem bemerkt außer einer Feldlerche, die einsam ihr Lied sang – jetzt schien ihnen ›Glück‹ so weit entfernt, als ob sie es nie wieder würden erleben können.
»Aber warum?« fragte Firkin wieder und stellte fest, daß ihm das Sprechen seltsam schwerfiel.
»Bleiben nicht sie können für immer«, erklärte Ch’tin. »Zu viele unvollständige Geschichten sonst gäbe es!«
»Aber sie sind doch jetzt unsere Freunde«, widersetzte sich Hogshead. Firkin schniefte.
»Ich ja weiß das.«
Der mächtige Ritter druckste verlegen. »Kann ich echt nich’ ab, so Abschiedsszenen«, murmelte er gedämpft. Und kurz, nur flüchtig blitzte in seinen Augen etwas auf, das heller glänzte als seine Rüstung.
»Jenau«, sagte der Pastetenbäcker überraschend leise. »Bringen wir’s hinter uns, ohne langes Jesülze.« Er spielte nervös mit dem Tragriemen seines Tabletts.
Merlot sah Firkin streng an. Im Licht der Abendsonne glänzten und glitzerten die Sterne, die Monde und die anderen astromagischen Symbole, und sogar der nur annähernd weiße Bart strahlte blütenweiß. Sein Mantel raschelte melodisch in E-Dur. Ein prächtiges Erscheinungsbild, jeder Zoll ein Magier. Arbutus öffnete die Augen und richtete sie wie der Zauberer auf Firkin. Firkin schluckte heftig, blinzelte und – schniefte.
»Na, glaubst du noch immer nicht an Magie?« flüsterte Merlot. Dann lächelte er wundervoll, und in seinen Augen blitzte und funkelte es.
Firkin starrte verlegen auf seine Schuhspitzen und lächelte gequält. Er wischte sich mit dem Handrücken schnell über die Augen und hoffte, daß keiner es gesehen hatte.
Drei Dezibel unter der Schwelle des menschlichen Hörvermögens entstand ein winziges Geräusch. Es entstand unerwartet, unaufgefordert und war allen höchst unwillkommen. Die Cognacglas-Zikaden ließen wieder einmal von sich hören. Unmittelbar darauf kamen, begleitet vom Stechmückenchor, die Silberpünktchen. Sie brachten jenes verhängnisvolle Jucken mit sich, waren schon im Handumdrehen überall und bildeten einen silbrig flirrenden Wolkenwirbel. Niemand hatte gesehen, woher sie gekommen waren, es war, als hätte sie eine Explosion im Nirgendwo aus dem Nichts ins Dasein geschleudert. Eben noch nicht vorhanden und schon …
… schon waren Merlot, der Prinz und der Pastetenbäcker von ihnen umgeben. Die Pünktchen blitzten, funkelten und glitzerten im dämmrig-magischen Licht. Und dann
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