Fischer, wie tief ist das Wasser
Ablehnung verstimmt war.
«Wir haben ja noch viel Zeit, nicht wahr?», schob ich möglichst heiter hinterher, doch die Gesichter um mich erwiderten diese Fröhlichkeit nicht. Es war, als hätte es dieses gemeinsame Lachen vor wenigen Minuten überhaupt nicht gegeben.
Nachdenklich fand ich meinen Weg zurück ins Büro, zurück zu Telefon und Computer. Auf dem Schreibtisch lag eine mit leuchtend gelber Farbe markierte Mappe, die Ausarbeitung für den Filmbeitrag. Immer noch stand Henk Andreesens Name als einziger auf dem Deckblatt. Ich seufzte, Henk war seit einer Woche nicht im Haus aufgetaucht und soweit ich informiert war, wusste niemand, wo er steckte.
Um nicht das ganze Fernsehprojekt zu gefährden, hatte ich mich entgegen Dr. Schewes Anweisungen eingehend mit Ingo Palmer beschäftigt und war sehr angetan von seinem Wesen, seiner kindlichen Dichtkunst. Ich konnte nicht verstehen, warum ich auf Granit biss, wenn ich ihn als Alternative zu Henk Andreesen vorschlug.
Ich stellte mich noch für einen kurzen Moment ans Fenster und schaute in den leeren Garten hinaus. Die Kinder waren nun in den Unterrichtsräumen, nur ein paar bunte Spielgeräte verrieten etwas von ihrer Anwesenheit.
Zurück am Schreibtisch, checkte ich meine E-Mails , da wareine mit einem Dach darüber, also musste sie aus dem Haus stammen. Ich klickte das Symbol an, ein Fenster öffnete sich, aber es gab keinen Absender, keinen Betreff. Ich überprüfte die Herkunft der anonymen Post. Sie wurde vom Zentralcomputer abgeschickt, an diesen Rechner konnten im Haus alle, die das Passwort kannten, und vom Lehr- und Büropersonal war das jeder.
Vielleicht war es eine fehlgeleitete Mail, dachte ich noch. Doch schon die ersten Worte machten mir klar, dass diese Botschaft auf dem Bildschirm an mich, und nur an mich adressiert gewesen war.
Seit du da bist, lacht das Leben in unserem Haus. Vielleicht schaffe ich es, dir diese Worte auch einmal ins Gesicht zu sagen. Morgen vielleicht, oder übermorgen? Warte ab!
Der Lärm von startenden Flugzeugen, von überfüllten Warteräumen und Tausenden von Kreissägen nistete zwischen Gesas Schläfen.
Vorhin saßen die Erwachsenen alle am Tisch und lachten lauter als die Kinder. Gesas Schädel war beinahe zersprungen und ihr wurde so übel, dass sie den Teller beiseite schob, sich unauffällig von ihrem Platz entfernte und den Speisesaal verließ. Sie blieb dann eine ganze Weile auf der Toilette, sah sich selbst im Spiegel an, bemerkte die dunkelgrauen Ringe unter den Augen und die geplatzten Adern neben der Pupille. Dann verschwamm das Bild, verwischte, versank. Es ging nicht mehr, keinen Schritt weiter. Noch niemals hatte das Hämmern und Bohren in ihrem Kopf sie derart gequält wie an diesem Tag. Vielleicht sollte sie doch einmal zum Arzt gehen, dachte Gesa. Doch sie war nicht so ein schwächliches Kind wie die anderen,die nur ein wenig bleich und leise «Mama» sagen mussten und dann eine kühle, prüfende Hand auf die Stirn gelegt bekamen, von einer sorgenvollen Mutter zum Doktor gefahren wurden. Gesa wollte diese Hölle allein durchstehen.
Doch das Reißen unter ihrer Schädeldecke schwoll unaufhörlich an, setzte ihren Kopf außer Gefecht, sank in ihren Körper, machte Arme und Beine taub. Als sie das Mittagessen ins Waschbecken erbrochen hatte und Blut zwischen den unverdauten Brocken ausmachen konnte, da knickte ihr Stolz ein und sie hangelte sich an der Wand entlang zu Dr. Schewes Büro.
«Ist was, Kind?», fragte diese geschminkte, dumme Assistentin, deren Namen sich Gesa einfach nicht merken wollte.
Gesa reagierte kaum, taumelte nur in Richtung Bürotür, hinter der sie Dr. Schewes Stimme hören konnte. Tröste mich, mach, dass die Schmerzen weggehen, weinte sie wie ein kleines Kind.
«Halt, halt, du kannst da nicht rein», kreischte die Ziege mit den wackelnden Ohrringen und sprang hinter dem Schreibtisch hervor. «Frau Dr. Schewe ist in einer Besprechung.»
Doch Gesa nahm die Klinke in die Hand, stützte sich schwach darauf, sodass die Tür lautlos aufging und sie beinahe in das Zimmer fiel.
Gesa konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob sie bereits Phantasiebilder sah, doch Dr. Schewes freundliches Gesicht war einer bitterbösen Fratze gewichen. Der Mann ihr gegenüber hatte eine krumme Visage, einen Kopf wie ein quadratischer Karton, eckig und hart. Seine Stimme klang wie eine leiernde Kassette.
«Wir haben die Sache gedreht, Jolanda Pietrowska hatte einen bedauerlichen
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