Fischer, wie tief ist das Wasser
bestätigen.»
«Aber?»
«Aber wir konnten diesen Totenschein nicht unterschreiben. Okka, es war kein Unfalltod. Jolanda Pietrowska war bereits so gut wie tot, bevor ihr Kopf auf dem Stein zerschmettert ist.»
Meine Hand krallte sich fest um den Hörer und ich musste mich, triefend nass und halb nackt, wie ich war, auf einen der ungeöffneten Umzugkartons setzen, weil meine Beine den Dienst quittierten. «Sie hat gespielt, Ben. Zehn Kinder haben übereinstimmend berichtet, dass sie ‹Fischer, wie tief ist das Wasser› spielten und Jolanda dabei war, lachte, rannte, wie alle anderen. Erst eine Rangelei brachte sie zu Fall. Sonst war da nichts. Erzähl mir nicht solche Horrorgeschichten, nur damit ich wieder …»
«Ich will dich nicht wieder zurückhaben, wenn du das meinst», unterbrach er mich barsch. «Jolanda Pietrowska hatte durch den Schlag auf den Stein eine heftige Gehirnerschütterung und Blutungen oberhalb der Schädeldecke erlitten, doch gestorben ist sie an inneren Blutungen im Kopf, und die sind nicht durch den Sturz verursacht worden.»
«Was sagst du da?»
«Ich möchte nicht ins Detail gehen, doch wir fanden im Gehirn des Mädchens abnorme Veränderungen, die Wände der Adern waren dünn und brüchig wie altes Pergamentpapier und an einigen Stellen hat es bereits unscheinbare winzige Blutungen gegeben.» Ich hörte, dass Ben am anderen Ende der Leitung tief durchatmen musste. «Das Mädchen war unserer Ansicht nach krank, sie muss davon nicht unbedingt etwas bemerkt haben, vielleicht klagte sie über Kopfschmerzen, doch auch das muss nicht sein. Jolanda Pietrowska hatte eine Gewebeveränderung der Blutgefäße im Gehirn, und diese Tatsache muss letztlich auch zum Tode geführt haben.»
Mir schwirrte der Kopf. Ich wollte an diese grausamen Details nicht denken, am liebsten erinnerte ich mich an Jolanda Pietrowska, wie sie selbstvergessen an einem Klavier gesessen hatte. Ich mochte mir die Einzelheiten ihrer Obduktion nicht ausmalen.
«Jetzt reicht es aber. Sie mag krank gewesen sein, das ist schlimm, wirklich. Dann war es eben kein Unfall, das macht für mich den Tod des Mädchens aber nicht weniger tragisch.»
«Wenn es das nur wäre, dann hätte ich dich mit dem ganzen Bericht nicht belästigt.» Bens Stimme klang ungeduldig und gereizt. «Es ist aber leider noch nicht das Ende der Geschichte …»
Mir war kalt, ich war tropfnass, ich sehnte mich nach meinerheißen Dusche, doch ich sollte Ben wohl endlich ausreden lassen.
«Wir haben unseren Obduktionsbefund weitergegeben: Kein Tod infolge eines Betriebsunfalls. Die Schulleitung hätte vor Freude in die Luft springen müssen, es war nicht ihre Schuld, sie waren nicht zahlungspflichtig, alles in Ordnung. Doch das Gegenteil ist passiert, und das verstehe ich nicht.»
«Hör mal zu, hör mal zu», unterbrach ich ihn nun doch. «Wir haben den offiziellen Totenschein gesehen, er ist uns gestern zugeschickt worden. Und daraus geht eindeutig hervor, dass Jolanda Pietrowska an den Folgen des Sturzes gestorben ist. Ich meine, das Gutachten stammt aus Hannover. Was willst du mir jetzt eigentlich weismachen?»
Ben schwieg am anderen Ende der Leitung.
«Bist du noch dran?»
«Ja, Okka, ich bin noch dran. Die Schulleitung handelt gegen ihre eigenen Interessen, wenn sie die Unfalltheorie als offizielle Version haben möchte, das will ich dir sagen.» Er atmete hörbar schwer. «Sie haben unsere Diagnose links liegen lassen, unter den Teppich gekehrt, und unsere Kollegen haben ihnen dann auf den Totenschein geschrieben, was sie wollten. Und das leuchtet mir nicht ein. Es wäre für alle Beteiligten besser gewesen, wenn eine chronische Krankheit die Todesursache gewesen wäre. Keine Versicherungsansprüche, keine dummen Fragen. Also nochmal, sie schneiden sich mit der Unfallversion ins eigene Fleisch. Verstehst du mich?»
«Ja», sagte ich schwach. «Aber warum? Und was soll ich jetzt tun?»
«Kannst du herausfinden, wer den Bericht der Pathologie unterschrieben hat? Wer Interesse daran haben könnte, einen Unfalltod dem natürlichen Tod des Mädchens vorzuziehen?»
«Ich kann es versuchen, Ben.»
Ich hörte, wie er am anderen Ende leise seufzte. «Ich wusste, dass du dieser Sache auf den Grund gehen willst. Aber pass bitte auf dich auf!» Wieder schwieg er einen Moment. «Und was ich vorhin gesagt habe, stimmt leider nicht ganz: Ich hätte dich gern wieder zurück. Ich vermisse dich schrecklich, Okka!»
«Ich melde mich, sobald ich etwas
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