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Fischer, wie tief ist das Wasser

Fischer, wie tief ist das Wasser

Titel: Fischer, wie tief ist das Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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ein Kaffee davor.
    «Erzählen Sie uns etwas von sich», sagte Dr.   Schewe schließlich.
    «Gern», sagte ich. «Mein Vater ist Reisejournalist», begann ich und wunderte mich selbst, dass ich ausgerechnet über ihn reden wollte.
    Robert Lindkrug, der nun am anderen Ende des Holztisches saß und etwas schwer verstehen konnte, da das Klappern des Besteckes und das Geplapper der Kinder eine gewaltige Geräuschkulisse abgaben, beugte sich vor. «Reden Sie bitte lauter, Frau Leverenz, ich liebe Geschichten aus der großen weiten Welt.»
    Ich freute mich über das Interesse an mir und dem, was ich zu erzählen hatte, auch wenn es kein eigenes Abenteuer, sondern nur ein geliehenes war.
    «Ein Bericht, ich glaube, es ging um Kameldressur oder so, verschlug ihn in ein namenloses Kaff in Mauretanien. Er ist ziemlich abenteuerlustig und manchmal ein wenig geizig, mein Vater, und um Spesen zu sparen, entschied er sich, per Bus zum Flugplatz nach Kaffa zurückzufahren. Ein Dreitagestrip durch die Wüste, ausdauerndes Schunkeln in einem schrottreifen, überfüllten Vehikel, ich glaube, er hat seinen Entschluss schnell bereut. Als er sich bei einer Rast zum Übergeben auf einer Parkplatztoilette eingeschlossen hatte, das Klohaus stand wirklich mitten in der Wüste, und als er endlich seinen gesamten Mageninhalt dem finsteren Loch im gefliesten Boden überlassen hatte, war der Bus weg.»
    Silvia Mühring schmunzelte und auch die anderen Gesichter an meinem Tisch blitzten erheitert auf. Nur Redenius rührte sich nicht, er saß zurückgelehnt auf seinem Stuhl und verzog keine Miene. Er war ein richtiger Spielverderber. Ich ließ mich von seiner gelangweilten Fratze nicht entmutigen.
    «Also, kein Mensch war mehr da, der Bus zwar noch am Horizont zu sehen, doch unerreichbar. Er hatte bei seinem krampfhaften Würgen das Abfahrtshupen des Busfahrers überhört. Das bedeutete, Gepäck, Geld und Proviant weg, einfach weg. Nur seine Kamera trug er um den Hals. Er stand da also mitten in der Wüste und hatte keine Ahnung, wie er je wieder in eine bewohnte Gegend kommen sollte.»
    Ich hörte, wie Sjard sich neben mir amüsierte, und mir wurde warm bei dem Gedanken, dass ich es war, die dieses trockene, tiefe Lachen verursacht hatte.
    «Er beschloss, ganz Journalist, sein durstiges, einsames Ende mit dem Fotoapparat zu dokumentieren, und knipste jeden Winkel dieses gottverlassenen Ortes.»
    «Ich glaub es nicht», sagte Silvia Mühring. «Wie ist er umGottes willen aus diesem Schlamassel wieder herausgekommen?»
    Ich wartete einen Moment, kostete den Augenblick aus, in dem mir die ungeteilte Aufmerksamkeit der Tischnachbarn gehörte.
    «Sein Glück, dass am Abend die Reinigungstruppe anrückte, denn in Mauretanien werden die Raststättentoiletten nur unregelmäßig und in ziemlich langen Abständen gesäubert. Die Putzkolonne hat ihn mit in das nächste Dorf genommen. Sein Gepäck hat er natürlich nie wieder gesehen. Die Fotos und die Geschichte zu seinem Missgeschick konnte er jedoch an ein Reisejournal verkaufen, es ist immer noch eine seiner bekanntesten Reportagen.»
    Robert Lindkrug ließ sich den Namen des Journals sagen, Silvia Mühring grinste amüsiert, bevor sie sich verabschiedete, und Sjard berührte fest und warm meine Hand, nur kurz, doch auch zu lang, um es mit einer versehentlichen Berührung zu verwechseln.
    «Ihr Vater bedeutet Ihnen viel, nicht wahr?», fragte Dr.   Schewe ernsthaft.
    Ich wunderte mich über ihr Interesse, doch es machte mir nichts aus, darauf zu antworten. «Ich sehe ihn selten, doch er war immer für mich da, wenn ich ihn brauchte.»
    «Es fällt mir wirklich schwer, Sie jeden Tag zu siezen, Frau Leverenz», sagte Dr.   Schewe. «Wenn es Ihnen recht ist, dann können Sie mich gern Veronika nennen, schließlich sind wir nun schon seit über einem Monat ein Team.»
    Sie reichte mir die Hand, doch ich ergriff sie nicht sofort. Irgendetwas in mir weigerte sich, diese Geste anzunehmen. Gut, wir hatten eine fröhliche Mittagsrunde gehabt, wir hatten gemeinsam gelacht und uns freundliche Blicke zugeworfen. Dochin diesem Moment, als Dr.   Schewes Hand zum Greifen nah war, wurde mir klar, wie viele Dinge zwischen uns standen.
    «Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, aber es wäre mir lieber, wenn wir es erst einmal beim Sie belassen würden.»
    Sofort zog Veronika Schewe ihre Hand zurück und wischte ihre Finger unnötigerweise am Kostüm ab. Ich konnte ihrer Miene nicht entnehmen, ob Sie über meine

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