Fischerkönig
Landhotel erreicht und fuhren geradeaus weiter nach Lendsiedel. Alexander Iwanow war die ganze Fahrt über recht schweigsam, bis Heiko ihn ansprach. »Was war das denn genau für eine Arbeit, die Sie da gemacht haben?« Alexander überlegte kurz und meinte dann: »Eine Terrasse rein machen. Mit so gelben Platten. Sandstein, glaube ich.«
»Wie groß waren die Platten?«, forschte Heiko.
»So 30 mal 30«, war die Antwort. »Ungefähr.«
Heiko nickte. Da ließe sich ein Alibi draus basteln. Der junge Mann war ihm sympathisch, auch wenn er einer der Hauptverdächtigen war. Und selbst für den Fall, dass Alexander die Tat verübt hätte, könnte man ihn irgendwie verstehen. Nein, korrigierte sich Heiko innerlich, Mord blieb Mord und war zu verurteilen. Aber wenn das Hauptmotiv gewesen war, die Schwester quasi zu befreien, wäre es wenig eigennützig. Außer, es wäre dem jungen Mann darum gegangen, weiterhin unbehelligt in Deutschland bleiben zu können. Nun, sie würden sehen.
Kaum im Dorf angekommen, dirigierte der junge Russe sie zielsicher zu einem für diese Gegend typischen Wohnhaus – sie parkten in der Einfahrt eines weißen Einfamilienhauses mit kleinem Vorgarten. Der Eingang lag ebenerdig, die Haustür war überdacht. Heiko und Lisa nahmen den Verdächtigen, dem sie wegen der Fluchtgefahr die Handschellen nicht abnehmen konnten, zwischen sich und läuteten. Nur Sekunden später öffnete eine schwangere Mittdreißigerin die Tür. Ihr mittelbraunes Haar war zu einem lockeren Zopf geflochten, ihr Bauch wurde von einer blaugemusterten Tunika verdeckt. »Bitte erschrecken Sie nicht, Frau …«, Heiko warf einen Blick auf die Türklingel, »Leitner.« Die Frau schluckte merklich, sie hatte wohl inzwischen die Handschellen entdeckt. Lisa merkte, dass in ihrem Blick ein kurzes Erkennen aufflackerte, als er Alexander streifte. »Ja?«, fragte sie dann und wirkte nervös. »Dürfen wir kurz hereinkommen?«, fragte Heiko. Die Frau trat beiseite und führte die seltsam anmutende Gruppe in ein weißgraues Wohnzimmer, das wohldosiert dekoriert war. Die drei nahmen auf der Kunstleder-Couchgarnitur Platz. Die Frau setzte sich mit einigem Ächzen in einen großen, zur Couchgarnitur passenden Sessel.
»Frau … Leitner, kennen Sie diesen jungen Mann?«
Wieder ein Schlucken, merklich und sichtbar. Sie knetete ihre Hände. »Wieso?«
»Der junge Mann steht unter einem Tatverdacht, gibt allerdings an, zur Tatzeit bei Ihnen gearbeitet zu haben. Stimmt das?« Heiko fürchtete, dass die Frau aus Angst, bei der Beschäftigung von Schwarzarbeitern erwischt zu werden, das Alibi platzen ließ, und präzisierte: »Nachbarschaftshilfe, auf Honorarbasis?« Gleichzeitig glitt sein Blick zur Verandatür hinaus, wo die Terrasse sichtbar mit gelben, quadratischen Steinplatten ausgelegt war. Die Frau sah ihn aus großen braunen Augen an und nickte schließlich ergeben.
»Ja richtig, natürlich, der …«
»Alexander«, half Lisa.
»… der Alexander hat meinem Mann geholfen, die Terrasse zu legen.«
»Und wann war das?«
»Vor circa einer Woche.«
»Können Sie das präzisieren?«
»Nun, warten Sie …, da lief ›Wetten dass‹ im Fernsehen, dann muss es der Samstag gewesen sein.«
Heiko und Lisa nickten sich zu. »Und um wie viel Uhr ist Herr Iwanow von hier weg?«, fragte Heiko weiter.
»Also, die Jungs haben die Terrasse gelegt, das hat ganz schön gedauert …, warten Sie, eigentlich bis zur Dämmerung, und dann haben sie noch zwei Bier gekippt, sozusagen nach getaner Arbeit.«
»Und?«
»Ja, also, wenn ich mich richtig erinnere, ist der Alexander ziemlich genau mit dem Ende der Sendung nach Hause.«
»Was, weil der Lanz ja, ebenso wie der Gottschalk es immer gemacht hatte, auch gern überzieht, nicht vor elf der Fall gewesen sein dürfte?«, vermutete Heiko. Wieder bestätigte die Frau. »So um den Dreh muss das gewesen sein, ja.«
Sie hatte Viktoria ins Bett gebracht. Schon vor längerer Zeit hatte sie sich überlegt, wo sie die Kleine unterbringen könnte und hatte dabei an das Gästezimmer gedacht. Das Mädchen schlief jetzt tief und fest in einem für sie viel zu großen Bett. Immerhin hatte sie ihre Lieblingspuppe, ihre Mutter hatte die Lieblingsspielsachen ihrer Tochter mit in die Obhut der kaum bekannten Tante gegeben. Eine gute Mutter war sie immerhin, das musste man ihr lassen. Aber sonst nichts. Sonst war sie ein berechnendes Luder, das Agnes’ Bruder auf dem Gewissen hatte. Und beinah auch die Lilli
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