Fischerkönig
damit erpresst. Er hat gesagt, wenn du mich verlässt, verpfeife ich ihn an die Bullen.«
Wieder eine Pause, in der diesmal Irina und Alexander einen Blick wechselten, einen verzweifelten Blick. Schließlich nickte Irina. »Genauso war es«, gab sie zu. »Sonst wäre ich keinen Tag zu lange bei diesem Scheusal geblieben.« Jetzt funkelten ihre grünen Augen und nahmen einen katzenartigen Ausdruck an. »Keinen Tag zu lange«, wiederholte sie flüsternd, und ihre Stimme klang heiser. Das kleine Mädchen merkte, dass ihre Mutter aufgeregt war, und schlang die Ärmchen um sie. Das entlockte Irina ein kleines Lächeln.
»Sie verstehen, dass Sie und Ihr Bruder ein Mordmotiv haben?«, meinte Lisa, und ihre Stimme war so sanft, wie es in dieser Situation nur möglich war. »Wo waren Sie zum Zeitpunkt des Mordes, Herr Iwanow?« Nun antworteten die beiden gleichzeitig, und die Antwort lautete: »Zu Hause.« Heiko beugte sich verbindlich vor und faltete die Hände auf dem Tisch. Irina konnte man das auch glauben. Trotzdem. »Können Sie Ihre Tochter bei Ihrer Schwägerin lassen?« Irina wiegte den Kopf. »Ungern«, gab sie zu. »Aber es bleibt wohl nichts anderes übrig. Nicht wahr?«
Agnes Morgner betrachtete die Kleine, der sie soeben einen heißen Kakao hingestellt hatte. Das Kind hatte sich artig bedankt, wie es sich gehörte. Viktoria war schon süß, das musste sie zugeben. Und all das war zu erwarten gewesen, wahrscheinlich würde sie das Mädchen behalten können. Sie war nicht gerade begeistert über die Abstammung der Kleinen, denn mit ihrer Mutter konnte sie so gar nichts anfangen, aber es war okay. Die Kleine konnte ja nichts dafür. Und vielleicht tat es ihr sogar gut. Ein bisschen Leben im Haus, denn sie vermisste ihren Mann, und ihre Ehe war kinderlos geblieben. Sie hatte sich immer Kinder gewünscht, immer, aber ihr Mann hatte keine gewollt. Er hatte sich vor dem Geschrei gefürchtet und auch, dass man sich finanziell ein bisschen würde einschränken müssen, hatte er nicht eingesehen. Dafür hatte er jedes Jahr auf einer dreiwöchigen Kreuzfahrt im Mittelmeer bestanden, und die hatten sie sich gut leisten können, ohne Kind. Die Kleine wirkte einigermaßen verstört. Man konnte es ihr nicht verdenken. Es war ja nicht so, dass sie ihre Tante überhaupt nicht kannte. Aber die wenigen Male, wo sie bisher zusammengekommen waren, hatte sie so wenig wie möglich mit der Mutter des Mädchens gesprochen, und das Kind hatte diese Aversion wohl bemerkt. Sie streichelte ihrer Nichte vorsichtig über die Wange. Sie konnte nichts dafür. Aber Irina. Ein Lächeln huschte über Agnes Morgners Gesicht, als sie an den Stapel sorgsam gefalteter Blätter auf dem Küchentisch dachte. Niemals zuvor war die Aussage ihres kleinen Briefleins so offensichtlich wahr gewesen. Denn nun war sie verhaftet, die Russenschlampe, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie verurteilt werden würde, wegen Mordes. Nicht, dass es um den Walter besonders schade gewesen wäre. Einerseits konnte sie die junge Russin auch verstehen, denn immerhin war der Walter nicht gerade der Bilderbuch-Ehemann gewesen. Trotzdem rechtfertigte das keinen Mord, und sie war sich relativ sicher, dass dieses Weibsstück das Ganze von Anfang an geplant hatte. Noch bevor sie nach Deutschland gekommen war. Und die Lilli war jetzt in Weinsberg in der Psychiatrie. Agnes zweifelte nicht daran, dass sie da nicht lange würde bleiben müssen. Dass die Sache mit dem Selbstmordversuch nur ein Ausrutscher war. Eine Kurzschlussreaktion. Unwillkürlich fragte sie sich, ob es richtig gewesen war, Lilli zu bestärken, auf den Walter zu warten. Eine Stimme in ihr überlegte, ob sie es vielleicht aus Egoismus getan hatte. Weil sie auch keine Kinder hatte, und die Lilli eben auch nicht. Und das war wunderbar praktisch, denn so waren sie die besten Freundinnen. Nein, dachte sie, so bist du nicht. Und selbst wenn. Es wäre menschlich. Einen Mann nur wegen des Geldes zu heiraten und sich ins gemachte Nest zu setzen, war hingegen verwerflich. Es war schon recht, was sie vorhatte. Und sie würde es für Lilli tun.
Zwei Stunden später saßen Irina Iwanowa und Alexander Iwanow im Verhörraum des Crailsheimer Polizeireviers. Frau Brucker saß daneben, mit demselben stoischen Gesichtsausdruck wie immer, und diesmal hatte niemand einen Kaffee vor sich stehen. Es hatte auch niemand nach einem Kaffee verlangt, denn Irina und Alexander wirkten beide überaus angespannt. Alexander saß wie ein
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