Fischerkönig
beobachtete den Spatzen, der sich endlich an den Krümel herangetraut hatte und nun begeistert damit davonflatterte. »Und?«, wollte Heiko wissen.
»Sie ist in zehn Minuten da.«
Sie hatten den Lederjackenmann wieder ins Verhörzimmer verfrachtet und begleiteten Frau Siegler, die ihre ganz entzückend hergerichtete Tochter auf dem Arm trug, in den Raum. Heiko hielt die Tür auf und ließ die junge Witwe eintreten. Irina Siegler blieb wie angewurzelt stehen, als sie den Mann da sitzen sah. »Frau Siegler, das ist … nun, wie heißt er denn? Kennen Sie ihn vielleicht?« Irina Siegler schüttelte den Kopf, ganz langsam, zu langsam. Schließlich hob der junge Russe den Kopf und sah sie an. Da streckte die kleine Viktoria auf dem Arm ihrer Mutter die Ärmchen aus und krähte: »Djadja Aleks!« Heiko und Lisa sahen sich verblüfft an. »Djadja heißt Onkel«, wisperte Lisa Heiko zu.
»Am besten, wir setzen uns mal alle«, meinte Heiko.
Eine Minute später saßen sie um den Tisch, in der Mitte ein Tonbandgerät, Irina mit Viktoria und dem geheimnisvollen Alex auf der einen Seite und die Kommissare auf der anderen. »Sie heißen Alexander?«, vermutete Lisa. Der Mann hielt immer noch den Kopf gesenkt und schwieg. Endlich sog Irina scharf die Luft ein und sagte etwas auf Russisch, was Lisa nicht verstehen konnte. Immerhin hatte sie nur ein Jahr Russisch-AG in der zehnten Klasse gemacht, und davon war nicht mehr viel übrig. Alexander antwortete, und es entspann sich ein kurzes, aber heftiges Wortgefecht, das Irina allem Anschein nach gewann. »Er ist mein Bruder«, erklärte sie dann. Heiko und Lisa verschlug es buchstäblich die Sprache. Damit hatten sie nicht gerechnet. »Ihr … Bruder. So.« Lisa musste sich kurz sammeln und überdachte die Liebhaber-Gatten-Mörder-Theorie. Nun, im Grunde ließe sie sich auch ohne Probleme in eine Bruder-Schwagermörder-Theorie ummünzen, wenigstens bei der Sorte Schwager. »Haben Sie einen Ausweis?«, fragte Heiko. Wieder blieb der Mann stumm, und Irina antwortete an seiner Stelle. »Den hat er weggeworfen.« Heiko warf Lisa einen vielsagenden Blick zu. »Sie sind illegal in Deutschland. Nicht wahr?«, vermutete Lisa dann. Jetzt endlich hob der Mann den Kopf. Irina sagte wieder etwas auf Russisch, und dann redete er.
»Ich bin vor drei Jahren über Polen hereingekommen. Jemand musste sich doch um Irina kümmern. Jemand von der Familie. Wenn sie schon bei einem Perversling wohnen muss.« Heiko verstand den Mann sehr gut. Trotzdem, er war ein Illegaler, und das mussten sie natürlich weitergeben, das war ihre Pflicht. »Und wovon leben Sie?«, wollte Lisa wissen.
»Von Gelegenheitsjobs. Meistens auf dem Bau. Da läuft viel schwarz.« Viktoria wand sich auf dem Arm ihrer Mutter, und Irina setzte sie auf ihren Schoß und holte aus der Handtasche eine kleine Puppe hervor, mit der sich das Mädchen augenblicklich befasste.
»Sie haben nicht zufällig auch noch einen Nebenjob als Killer?«, fragte Lisa, zog die Augenbrauen hoch und wirkte dabei sehr streng.
»Ich wusste, dass Sie das denken würden.«
»Und deshalb sind Sie abgehauen?«
Nun starrte Alexander auf seine Fingernägel. »Einerseits. Aber andererseits auch, weil ich nicht zurück will. Ich will hierbleiben.« Lisa kam unwillkürlich ein Gedanke, der ungeheuerlich war. Aber es war möglich. Denn wenn der Sackler dem Siegler die Fotos gezeigt hatte, dann hatte Siegler gewusst, dass sein Schwager in Deutschland war. Und das wäre für so einiges eine Erklärung. Aber um sicher zu sein, müsste sie ein bisschen ausholen. »Ihre Ehe war ja nicht so glücklich«, begann sie also, an die junge Frau gewandt. Irina strich ihrer Tochter übers Haar, so, wie die es gerade mit ihrer Puppe machte, und verneinte dann. »Und warum sind Sie dann bei Ihrem Mann geblieben? Ich meine, Sie hätten doch gehen können. Die drei Jahre waren um. Nach drei Jahren haben Sie die Staatsbürgerschaft, nicht?« Irina schwieg und befasste sich mit einer ihrer eigenen Haarsträhnen, die sie nachdenklich um ihren Finger wickelte. »Sie hätten nicht wirklich zu befürchten brauchen, dass Ihr Mann Ihnen die Tochter wegnimmt, denn die Wahrscheinlichkeit, dass das durchgegangen wäre, wäre nicht groß gewesen«, fuhr Lisa fort. Immer noch schwieg Irina. Da beugte sich Lisa vor und sah der Frau direkt in die Augen. »Wissen Sie, was ich glaube, Frau Siegler? Ich glaube, Ihr Mann hat gewusst, dass Ihr Bruder illegal in Deutschland war. Und er hat Sie
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