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Fischerkönig

Fischerkönig

Titel: Fischerkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wildis Streng
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rechten zwischen Daumen und kleinem Finger gähnende Leere. »Ein Sägeunfall. Passierte, als ich meinem Vater mit 18 beim Holzsägen half. Da waren die Finger dann ab, man konnte nichts mehr machen.« Er bewegte Daumen und kleinen Finger aufeinander zu und deutete eine grotesk aussehende Greifbewegung an. »Ich komme zurecht, und mit links bin ich ganz gut. Aber ich habe in dieser Hand nicht einmal so viel Kraft, dass ich die Kette um Sieglers dürren Hals hätte zuziehen können.«
    Heiko und Lisa schwiegen peinlich berührt, sie wussten nicht so recht, wie sie auf die Behinderung reagieren sollten. »Tja, dann, Herr Steidle, nichts für ungut …«, fing Heiko irgendwann an und erhob sich endlich. Steidle nickte etwas gönnerhaft, und die Kommissare gingen wieder den langen, weißen Gang entlang, Steidle, sie hinausgeleitend, hinter ihnen. An der Haustür fragte der Mann mit leicht spöttischem Unterton: »Sie tappen völlig im Dunkeln, nicht wahr?« Heiko öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber Lisa war schneller. »Haben Sie denn noch einen Tipp für uns, Herr Steidle? Wir sind tatsächlich für jede Information dankbar.« Steidle überlegte, seine Stirn legte sich in Falten und seltsamerweise bewegte sich dabei auch seine Glatze. »Ich weiß nur, dass er sehr erfolgreich mit seinem Versicherungsunternehmen war. Das Haus, die Frau, der Mercedes …«
    »Und?«
    »Naja, nur von der Provision von ein paar Dörflern kann das nicht gekommen sein, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Nein?«
    Steidle versteckte seine verkrüppelte Hand in der Hosentasche, um sie gleich darauf wieder herauszuziehen und gedankenverloren Daumen und kleinen Finger aneinanderzulegen. »Es gingen im Verein Gerüchte um, dass er seine Kunden bescheißt. Und dass da wohl ein paar Leute auf der Strecke geblieben sind.«
    »Wissen Sie da Näheres?«, forschte Heiko.
    »Wer was erzählt hat, wissen Sie das noch?«, versuchte Lisa. Wieder schüttelte Steidle den Kopf. »Keine Ahnung. War halt Gebaatsche, ihr wisst doch, wie das ist.«
    »Gar keine Idee?«, bohrte Heiko.
    »Man erzählt sich, dass er den Leuten teure Bausparverträge angedreht hat, dass es eine helle Freude war. Und entsprechend Unsummen Provision eingestrichen hat. Aber wie gesagt, das sind nur Gerüchte.«

    Kurze Zeit später saßen Lisa und Heiko wieder im M3. Die Sonne war durchgebrochen, also öffnete Heiko das Cabriodach. Es war schönes Wetter und sie beschlossen, sich noch kurz den Weiher anzusehen, um den es eigentlich ging. Die beiden folgten dem Weg aus dem Dorf hinaus. Rechts des Weges stand zwei Meter hohes Schilf, dessen Halme silbrig grün schimmerten. Die Rohrkolben des Schilfs hatten um diese Jahreszeit ein sattes, volles Dunkelbraun und wirkten samtig. Das fahle Gestrüpp um sie herum stand dazu im krassen Gegensatz. Nach etwa 200 Metern stießen die Kommissare auf den kleinen Weiher, der wie selbstverständlich zum Dorf zu gehören schien. Direkt davor prangte allerdings ein überaus hässliches, knallrot leuchtendes Schild mit der Aufschrift ›Privatgrundstück! Betreten für Unbefugte verboten!‹ Das Schild wirkte hier so unpassend wie die amerikanische Flagge auf dem Mond. Sie parkten den Wagen und stiegen aus. Sofort umfing sie die absolute Stille, die durchbrochen wurde vom ständigen Zirpen der Grillen und von einem gelegentlichen Platschen, das immer dann entstand, wenn ein Fisch im Wasser schnalzte oder ein Frosch hineinsprang. Lisa fand eine Stelle am Ufer, die nicht gänzlich mit Schilf überwuchert war, und entdeckte gelbe Teichrosen und wunderschöne, leuchtend blaue Libellen, die wie kleine Hubschrauber schwerelos dicht über dem Wasser schwebten. Heiko fasste Lisa von hinten und schlang beide Arme um sie. »Schön, gell?«, flüsterte er in ihr Ohr und drückte ihr einen schnellen Kuss auf die Wange.
    Aber die Idylle währte nur kurz. »Entschuldigen Sie«, tönte es plötzlich hinter ihnen. Hochdeutsch mit schwäbischem Einschlag. Nichts Schlimmeres gab es für Heiko, das wusste Lisa. »Können Sie nicht lesen?« Heiko drehte sich langsam um, ganz langsam, Lisa auch. Vor ihnen stand ein kleines grauhaariges Männchen mit Poloshirt und dunkelblauer Bundfaltenhose. »Was is?«, meinte Heiko unwirsch. Nun streckte das Männchen einen dünnen Zeigefinger aus und deutete auf das Schild, allerdings ohne hinzusehen. »Das ist ein Pri-vat-grund-stück«, dozierte es und sprach langsam und deutlich. »Wieso, stören wir Sie beim Segeln?«,

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