Fischland-Rache
gelogen.«
»Was ist hier denn los? Wer ist da?« Die Stimme meines Vaters lieà uns beide herumfahren. Mit einer Lampe in der Hand kam er aus dem Haus und schaute kurz darauf entgeistert von mir zu Sascha und zurück. »Das kann ja wohl nicht wahr sein!«
Dass Saschas Plan so punktgenau aufging, hätte er sich bestimmt selbst nicht träumen lassen. Aus den Augenwinkeln sah ich ihn feixen, während ich bloà hoffte, dass mein Vater nicht auf die Idee kam, auch noch einen Blick in die Garage und den Wartburg zu werfen. Aber er war genug damit beschäftigt zu verarbeiten, dass seine erwachsenen Söhne sich vor seiner Haustür prügelten.
»Seid ihr fertig oder wollt ihr eure ⦠Unterhaltung fortsetzen? Sollte Letzteres der Fall sein, tut das bitte woanders.« Er wandte sich ab, um durch den Schnee ins Haus zurückzustapfen.
»Ich denke, es ist alles geklärt«, sagte Sascha. »Du hast mich verstanden, oder? Ich kenne dich. Du bist ein so verflucht guter Mensch, du wirst es nicht übers Herz bringen, Karsten ins Gefängnis zu schicken.«
»Du widerst mich an«, entgegnete ich. Ja, ich hatte ihn verstanden, aber er kannte mich überhaupt nicht. Seine Erpressung war vollkommen unnötig gewesen, ich hätte auch so geschwiegen. Karins wegen. Das war der einzige Grund. Es war keiner, auf den ich stolz war, schon gar keiner, aus dem ich mich als guten Menschen bezeichnet hätte. Ich stellte meine Liebe zu ihr über das Recht. Nicht nur über das Recht im juristischen Sinn, sondern auch über das Recht von Markus Brehmers Tante und Onkel zu erfahren, was aus ihrem Neffen geworden war. Ganz kurz hatte ich mir einzureden versucht, dass ihnen immerhin erspart blieb zu erfahren, was er getan hatte. Aber das alles spielte am Ende keine Rolle â wichtig war mir allein Karin.
»Harte Worte«, sagte Sascha. »Falls sich das nicht nur auf Karsten bezog, sondern auf alles, was in dieser Nacht geschehen ist â vergiss nicht deine Beteiligung daran. Und versuch nicht, mich allein dafür verantwortlich zu machen.«
»Nein.« Ich sah an Sascha vorbei zum Garagentor und wusste, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor. »Das tue ich ganz sicher nicht.«
24
»Saschas Plan ging auf«, sagte Paul. Er hatte Kassandra keinen Moment lang aus den Augen gelassen, nie ihren Blick gemieden. Manchmal war seine Stimme leiser geworden, hatte er gestockt, aber kein einziges Mal hatte er sich abgewandt. »Das Wetter verschlimmerte sich, der Schnee stieg so hoch, dass die Kinder von den Dächern rodelten. Am 30. Dezember wurde damit begonnen, die weiÃen Massen in die See zu transportieren, aber an Silvester schneite es weiter. Niemand kam aus Wustrow hinaus, niemand kam herein, wir waren völlig abgeschnitten â schwere Maschinen von auÃerhalb brauchten Tage, bis sie zu uns vordrangen, und erst am 6. Januar wurde der Katastrophenalarm aufgehoben.« Paul hielt kurz inne. »Während all der Zeit lag Markus Brehmers Leiche im Wartburg in der Garage. Natürlich war er von seinem Onkel vermisst gemeldet worden, und Heinz tat, was er konnte â naturgemäà wenig bei dem Wetter. Er ging bald davon aus, dass Brehmer in der Nacht gestürzt und unter Schneemassen begraben worden, erstickt oder erfroren war. Nachdem sich das später als Irrtum erwies, wurde monatelang nach ihm gesucht, auch weit über das Fischland hinaus, erfolglos. Man vermutete ein Verbrechen, aber es gab absolut keine Hinweise â weder auf ein Motiv noch auf die Art und Weise, wie es verübt worden sein könnte. Das war das einzige Mal, dass ich Heinz je vollkommen ratlos erlebt habe. Was Sascha mit Brehmer tat, nachdem er Wustrow verlassen konnte, weià ich nicht. Ich habe nicht gefragt, und er hat es nicht erzählt. Wir haben nie wieder darüber gesprochen.«
»Bis vor zwei Wochen.« Es war das Erste, was Kassandra seit einer Stunde sagte. Sie erschrak vor ihrer eigenen Stimme.
Paul nickte. »Er hat mir erzählt, wie es wirklich war. Er hat mir erzählt, dass er Karin vergewaltigt hat â und dass nicht er Brehmer in jener Nacht auf dem Hohen Ufer mit seinem Wissen konfrontierte, sondern umgekehrt. In seiner Wut hat Brehmer nicht nur zugeschlagen, sondern ihm auch noch gedroht. Damit war er an den Falschen geraten. Sascha hat Markus Brehmer absichtlich das Steilufer hinuntergestoÃen. Er
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