Fischland-Rache
gegenübergestanden hätte, der Karin vergewaltigt und ihr die Chance genommen hat, Kinder zu haben.«
»Du hast ihm gegenübergestanden, oder etwa nicht?«, stellte Kassandra fest.
Paul runzelte die Stirn. »In dreiunddreiÃig Jahren können Wut und sogar Hass abkühlen. Das kannst du nicht vergleichen.«
»Für dich war es aber nicht dreiunddreiÃig Jahre her, du hattest es gerade eben erst von ihm selbst erfahren«, widersprach Kassandra. »Es gibt Dinge, die man weder vergessen noch verzeihen kann, und davon hat Sascha eine ganze Menge getan. Wenn du einen Menschen töten könntest, wäre es wohl dieser Moment gewesen, in dem du es getan hättest. Hast du aber nicht.«
»Nein. Nein, hab ich nicht.« Zum ersten Mal sah Paul weg. »Und weiÃt du, wie oft ich schon dachte, dass es mich eigentlich gar nicht interessiert, wer es war? Wir haben Heinz aus dem Gefängnis geholt und damit unser Ziel erreicht. Lassen wir Dietrich den Rest erledigen.«
Kassandra verstand, was in Paul vor sich ging, trotzdem hakte sie nach. »Du willst einfach aufhören?«
»Ich habe Sascha davonkommen lassen â wieso nicht jemanden, der es mehr verdient?«
Obwohl sie auch seine Verbitterung verstand, konnte sie diese Worte nicht so stehen lassen. »Weil du das damals nicht getan hast, um jemanden davonkommen zu lassen, Paul, sondern um Karins willen. Du hast das für sie getan, nicht für Sascha. Sicher, du hast eine Entscheidung getroffen, die vielleicht falsch war, aber wer kann sagen, was passiert wäre, wenn du dich anders entschieden hättest? Was wäre aus Karsten geworden, was aus Karin und Heinz? Wenn Heinz die Wahrheit erfahren und vergessen hätte, dass er Polizist ist? Karin hat befürchtet, dass er was Unüberlegtes tun könnte. Drei Jahrzehnte später hast du befürchtet, es könnte passiert sein, auch wenn du es meinetwegen nie ausgesprochen hast. Wenn er sich an Sascha gerächt hätte, was wäre aus seinem und Karins Leben geworden?« Ein wenig erschöpft hielt Kassandra inne, weil ihr selbst vieles erst klar wurde, indem sie es aussprach. Paul hatte sich ihr wieder zugewandt und sah ihr in die Augen, ohne dass sie seinen Blick deuten konnte. Es gab nur noch eins, was sie loswerden musste: »WeiÃt du noch, was ich vorhin gesagt habe? Manchmal muss man sehr schnell eine Entscheidung treffen â und manchmal ist sie vielleicht richtig, auch wenn sie eigentlich falsch ist.«
Es blieb lange still zwischen ihnen, bis Paul sich mit der Hand übers Gesicht fuhr und sagte: »So hab ich das noch nicht betrachtet.«
»Dann tuâs jetzt.« Sie sah, dass Paul das schwerfiel. Er würde Zeit brauchen, das so zu sehen, und vielleicht war es das Beste, wenn er zuerst mal an andere Dinge dachte. »Es gibt da übrigens einen Aspekt, der bei der Entscheidung aufzuhören oder weiterzumachen unmittelbar zu beachten ist«, fuhr sie deshalb fort. »Und zwar Clemens. Wir haben Dietrich auf seine Spur gebracht, also müssen wir ihn auch wieder davon abbringen. Das geht am besten, indem wir den oder die Täter finden.«
Wieder schaute Paul kurz zur Seite, bevor er fragte: »Wir?«
»Denkst du, Heinz will sich wegen Mirko raushalten? Er weià nichts über ihn, was uns weiterhelfen könnte, sonst hätte er es vorhin gesagt. Falls es Mirko und Inga waren, haben sie das womöglich monatelang eiskalt geplant und billigend in Kauf genommen, dass er dafür ins Gefängnis geht. Das übersteigt mit Sicherheit Heinzâ Toleranzgrenze.«
»Ich meinte nicht Heinz.«
»Nicht? Bruno wird â¦Â« Da erst verstand sie. Sie hatte sich keinen Zentimeter vorwärtsbewegt, seitdem Paul vor ihr zurückgewichen war, jetzt nahm sie keine Rücksicht mehr. Diesmal rührte er sich nicht vom Fleck, bis sie direkt vor ihm stand. »Du Idiot«, sagte sie liebevoll. »Hast du ernsthaft geglaubt, dass du mich so leicht loswirst?«
»Werde ich nicht?« Pauls Stimme klang belegt, nur zögernd erwiderte er ihr Lächeln.
Stumm schüttelte sie den Kopf. Immer noch zögernd hob Paul die Hand und strich ihr wie vorhin mit dem Finger über die Wange. Einen Augenblick verharrten sie so, bis ein Ruck durch ihn ging. »Na schön, an die Arbeit. Wie finden wir raus, ob Mirko Michas Sohn ist? Wir könnten versuchen, Michas Frau ausfindig zu machen, aber selbst
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