Fischland-Rache
fürchtete ich mich vor mir selbst. Ich würde einen Menschen verschwinden lassen â einfach so. Einen Menschen, der vermisst würde von anderen, die ihn liebten.
»Paul?« Ungeduldig durchbrach Sascha meine Gedanken. »Du machst doch wohl jetzt keinen Rückzieher.«
Ich sah wieder hinunter auf Markus Brehmers Körper und schüttelte langsam den Kopf.
Saschas Plan war so simpel, dass selbst ich zu glauben anfing, er könnte funktionieren, auch wenn er mich entsetzte. Wir schafften Brehmer zum Haus unserer Eltern, das damals noch sehr abgelegen stand. Genauer gesagt schafften wir ihn in die Garage. Darin stand der Wartburg meines Vaters, den er Sascha überlassen hatte, weil der das Auto dringender benötigte. Bis er selbst eins bekommen würde, würde noch viel Wasser die Recknitz hinunterflieÃen.
»Wenn es so weiterschneit«, erklärte Sascha, während er den Kofferraum aufschloss, »kriegt morgen Nachmittag kein Mensch mehr seine Garage auf. Hier drin ist die Leiche schön gekühlt, selbst wenn Tauwetter einsetzen sollte, bleibt es noch eine ganze Weile kalt genug. Sobald die StraÃen wieder befahrbar sind, fahre ich mit Markus Brehmer im Gepäck vom Fischland. Was weiter mit ihm passiert, muss dich nicht interessieren. Danke für deine Hilfe so weit.«
»Sein Onkel und seine Tante werden ihn vermisst melden«, sagte ich.
»Natürlich. Aber weder unser geschätzter ABV noch seine Kollegen werden ausgerechnet in unserer Garage nach ihm suchen.«
Mittlerweile standen wir drauÃen, Sascha hatte das Garagentor unter Mühen geschlossen. Ich zweifelte nicht an seiner Einschätzung der Wetterlage, dennoch konnte ich meinen Blick nicht von dem Tor nehmen.
»Paul.« Es lag ein misstrauischer Unterton in diesem einen Wort. Er seufzte, trat dicht an mich heran und sagte sehr leise: »Du willst immer das Richtige tun, selbst wenn es nicht das Richtige ist. Deshalb bist du sogar eingesperrt worden. Ich würde gern glauben, dass du den Mund hältst, weil ich dein Bruder bin. Vielleicht tust du das sogar, aber ich möchte mich lieber rückversichern, dass du eines Tages nicht doch noch bei Heinz vor der Tür stehst. Also hör genau zu: Dein Kumpel Karsten klaut Medikamente im Pflegeheim.«
Unwillkürlich machte ich einen Schritt rückwärts, unsicher, ob ich ihn richtig verstanden hatte. Karsten war anderthalb Monate nach mir aus Bautzen entlassen worden und arbeitete seitdem als Hilfspfleger im Heim in der StrandstraÃe. Ich musste mich räuspern. »Wie bitte?«
»Karsten Rode klaut für seine Mutter Medikamente. Der Arzt verschreibt ihr vernünftigerweise die Dosis, die vertretbar ist, ohne dass ihre Nieren zu sehr angegriffen werden. Aber die Schmerzen sind heftig, sie braucht mehr, um es auszuhalten. Folglich stiehlt ihr Sohn die Medikamente.« Sascha stand da, es schneite unvermindert, er wirkte wie ein Geist inmitten all der Flocken. Mit sanfter Stimme fuhr er fort: »Falls du dich fragst, woher ich das weiÃ: Die reizende Schwester Monika hat eine Schwäche für mich. Wir treffen uns, wenn ich hier bin, und sie plaudert gern.« Seine Stimme wurde hart. »Ich bin kein Jurist und weià nicht, wozu man Karsten verurteilen würde â aber er ist vorbestraft, die werden ihn kaum mit Samthandschuhen anfassen. Wer soll sich dann um seine Mutter kümmern?«
Ich schlug so schnell zu, dass Sascha nicht mehr ausweichen konnte. Er fiel auf den Rücken, ich hörte ein Gurgeln und sah, wie seine Hand nach seinem Gesicht tastete. Er hielt sich die Nase, während er sich aufrichtete, Blut tropfte in den Schnee. Ich horchte in mich hinein und fragte mich, was ich fühlte, doch da war gar nichts. Ich wusste, dass sich das wieder ändern würde, aber im Augenblick war diese Gefühlskälte exakt das, was ich brauchte.
»Du hast mir die Nase gebrochen.« Sascha klang dumpf, weil er sich noch immer die Hand vors Gesicht hielt. Mühsam kam er auf die Beine, nahm die Hand weg und betrachtete das Blut darin. »Was für eine Sauerei.« Dann sah er auf und holte so plötzlich aus wie ich zuvor. Ich nehme an, er wollte Gleiches mit Gleichem vergelten, aber ich zuckte rechtzeitig zurück, sodass er nur mein Auge traf. Dennoch nickte er zufrieden. »Wie praktisch. Das erklärt meine Verletzungen. Wir zwei haben uns geprügelt, ist nicht mal
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