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Fischland-Rache

Fischland-Rache

Titel: Fischland-Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Kastner
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Zentimeter rutschten wir in die Tiefe, klammerten uns am Gebüsch, an vereistem Schnee und zwischendurch auch an uns selbst und unserer Kleidung fest. Bis mein rechter Fuß auf etwas stieß, das sich nicht wie Schnee, Eis oder Erde anfühlte.
    Ich ließ Sascha los und probierte, wie sicher ich stehen konnte. Es ging einigermaßen, also bückte ich mich und begann, den Schnee mit den Händen wegzuschaufeln, während Sascha mit der Taschenlampe leuchtete. Ich musste nicht lange graben. Ein noch sehr junger Mann in einem braunen Wintermantel kam zum Vorschein, sein Gesicht war weiß, umrahmt von hellen Haaren, die lang genug waren, um ihm in nassen Strähnen auf der Wange zu kleben. Markus Brehmers Augen waren geschlossen, er sah beinah friedlich aus – wären da nicht die an zwei Stellen aufgeplatzte Lippe, ein beginnender Bluterguss am Wangenknochen und sein linker Arm gewesen, der unnatürlich verrenkt hinter seinem Kopf lag. Meine Finger suchten den Puls an seinem Hals, aber ich wusste bereits, dass ich keinen finden würde. Ich sah zu Sascha und schüttelte den Kopf.
    Â»Scheiße«, murmelte er.
    Â»Das ist alles, was du zu sagen hast?«, fragte ich, dabei war ich mir selbst nicht im Klaren darüber, was ich fühlte. »Wir müssen Heinz benachrichtigen.«
    Â»Hast du mir vorhin nicht zugehört?«, fragte Sascha.
    Â»Wir können Brehmer hier nicht liegen lassen und warten, dass jemand anders ihn findet«, protestierte ich.
    Â»Nein, stimmt, das können wir nicht. Wir müssen ihn verschwinden lassen.«
    Â»Was?« Ich war einiges von Sascha gewöhnt, aber nichts von dem, was er bisher getan oder gesagt hatte, hatte mich so schockiert wie das.
    Â»Wir müssen ihn verschwinden lassen«, wiederholte er, jede Silbe betonend.
    Â»Das ist nicht dein Ernst.«
    Â»Durchaus.« Da war nichts mehr von blank liegenden Nerven, Sascha schien wie ausgewechselt. Sein Gesicht hatte einen entschlossenen Ausdruck angenommen, ich sah ihm an, dass er bereits strategisch plante, was als Nächstes zu tun war.
    Â»Sascha, nein, das geht nicht! Das können wir nicht tun.«
    Â»Doch. Wenn Brehmer gefunden wird, werden die schnell eins und eins zusammenzählen, wenn in Wustrow noch jemand mit lädiertem Gesicht rumläuft. Ich kann mich nicht zu Hause verkriechen, ich hab ein paar Verabredungen, die ich schlecht absagen kann, ohne dass Fragen laut würden. Ich kann auch nicht krank spielen, Mama würde mir das nicht abkaufen, und ich müsste ihre Fragen beantworten.« Er machte eine kurze Pause, in der ich gern was gesagt hätte, aber ich war zu erschüttert. »Ich bin nicht bereit, mir mein Leben kaputtmachen zu lassen von so einem. Los, hilf mir!«
    Â»Nein.«
    Â»Nein? Paul! Dieser Mann hat die Frau vergewaltigt, die du liebst. Sie hat seinetwegen ihr Kind verloren. Willst du, dass durch ihn noch mehr Unglück geschieht? Ich bin dein Bruder. Wenn rauskommt, wie das alles zusammenhängt – und das wird es wahrscheinlich, auch wenn ich den Mund halte –, glaubt kein Mensch mehr, dass das ein Unfall war. Ich werde in den Knast wandern. Du bist der Erste, der wissen sollte, was das heißt. Hilf mir!«
    Mit jedem einzelnen Argument hatte er schweres Geschütz aufgefahren. Es spielte keine Rolle, wie wenig nahe wir uns standen – Sascha war mein Bruder, Markus Brehmer der Mann, der das eigentliche Verbrechen begangen hatte. Außerdem stand zu befürchten, dass früher oder später die ganze Geschichte ans Tageslicht kommen würde, und das lag weder in Saschas noch in Karins Interesse. Ich sah an Sascha vorbei, hinaus auf die unsichtbare See, die ich nur noch hören konnte. Ich dachte an Karin – und nickte.
    Es dauerte Ewigkeiten, bis wir Markus Brehmer nach oben gehievt hatten. Ich konzentrierte alle meine Kräfte und Gedanken auf das, was meine Hände, meine Arme und Beine zu tun hatten, ich weigerte mich, darüber nachzudenken, wozu sie taten, was sie taten. Nur kurz fragte ich mich, was Sascha mit Brehmer vorhatte. Man konnte nicht mal eben eine Leiche verschwinden lassen, dies hier war ein Dorf, keine Großstadt.
    Schließlich standen wir wieder auf dem Hohen Ufer, durchnässt von Schnee und von Schweiß. Als ich Brehmer da am Boden zu unseren Füßen liegen sah, Schneeflocken im Haar, die nicht schmolzen, sondern ihn erneut zuzudecken begannen,

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