Fischland-Rache
runter.«
Einen Atemzug lang herrschte absolute Stille. Von drauÃen drang kein Geräusch herein, der Schnee dämpfte alles, und erst als der Kühlschrank anfing zu brummen, kam wieder Leben in mich. »Er ⦠fiel?«, wiederholte ich.
Sascha starrte mich an, bevor er nickte. Wortlos.
»Was ist dann passiert?«
»Da unten liegt eine Menge Schnee, ich konnte nicht sehen, wie er gelandet ist. Ob der Schnee den Sturz abfangen konnte und Brehmer nur verletzt ist. Oder ob er â¦Â«
»â¦Â tot ist.«
Wieder nickte Sascha. »Er hat sich jedenfalls nicht gerührt.«
Ich sprang auf. »Um Himmels willen, Sascha! Wir sitzen hier seit einer Viertelstunde, weiÃt du, wie kalt es drauÃen ist bei dem Ostwind? Wenn er noch lebt, müssen wir ihn da rausholen! Schnell!« Ich riss meinen Mantel aus dem Schrank und zog mir schon die Stiefel an, da sah ich, dass Sascha sitzen geblieben war. »Worauf wartest du?«
»Und wenn er tot ist? Was tun wir dann?«
»Was schon? Heinz Bescheid geben. Er ist die Polizei.«
»Was sollen wir ihm sagen? Dass ich mich mit Brehmer geprügelt habe und er durch meine Schuld umgekommen ist? Wie denn, wenn ich das Versprechen, das ich Karin gegeben habe, nicht brechen will â und du würdest das auch nicht tun! Heinz ist die Polizei, aber er ist auch Karins Mann, und sie will nicht, dass er von der Sache im September erfährt. Wie soll ich gleichzeitig mein Versprechen halten und die Wahrheit sagen? Was glaubst du auÃerdem, was mit mir passiert, wenn ich rede? Das könnte mein ganzes Leben ruinieren.«
Mir lag auf der Zunge zu sagen, dass es schlieÃlich ein Unfall gewesen war. Ich hielt den Mund, weil ich dachte, wenn ich es ausspreche, wird die Lüge noch schlimmer. Wie absurd. Mein Gefühl sagte mir, dass Sascha Brehmer absichtlich gestoÃen hatte. Wahrscheinlich ohne sich der möglichen Konsequenzen bewusst gewesen zu sein â nichtsdestotrotz absichtlich. Das erschreckte mich, aber weitaus schlimmer war, dass ich es nachvollziehen konnte. »Wir können später überlegen, was du sagst, komm endlich! Vielleicht ist es noch nicht zu spät.«
DrauÃen wirbelten die Schneeflocken um uns herum, es schneite stärker als je zuvor, wir konnten kaum die Umgebung erkennen. Die StrandstraÃe versank in WeiÃ, es wurde zunehmend schwieriger voranzukommen. Ich fragte mich, wie wir zu der Stelle vordringen sollten, wo Markus Brehmer lag, und ob wir sie überhaupt wiederfanden, weil der Schnee sein sehr ungleichmäÃiges, vom Sturm gepeitschtes Tuch über allem ausbreitete. Sascha kämpfte sich durch die Schneemassen voran, ich achtete nur noch auf seinen Rücken, weiter konnte ich ohnehin nicht sehen. Der Weg auf dem Hohen Ufer war so gut wie unpassierbar geworden, jeder Schritt kostete uns viel zu viel Zeit. Ich glaubte kaum mehr daran, dass Brehmer noch lebte, es sei denn, er war nur bewusstlos gewesen, in der Zwischenzeit zu sich gekommen, hatte sich selbst aus dem Schnee befreit und war irgendwie nach Hause gelangt.
Endlich blieb Sascha stehen. »Hier warâs.«
»Sicher?« Ich kannte jeden Strauch und jeden Baum auf dem Fischland, aber in dieser Nacht sah alles gleich aus.
Sascha trat vorsichtig an den Abgrund heran. Ich tat es ihm nach und schaute hinunter, aber es war so dunkel, dass ich nur wenig erkennen konnte. Also nahm ich meine Taschenlampe und leuchtete nach unten.
»Vorsicht!«, zischte Sascha. »Wenn die NVA uns sieht, warâs das.«
Die NVA -Station war ein ganzes Stück entfernt, Sascha musste klar sein, dass die bei dem Schneesturm weder uns, geschweige denn ein simples Taschenlampenlicht sehen konnten. Zum ersten Mal, seit er bei mir aufgekreuzt war, merkte ich wieder, dass seine Nerven blank lagen. Die Flocken, die um uns herumfegten, mochten den Vorteil haben, dass sie uns verbargen, sie hatten aber auch den Nachteil, dass wir selbst nicht allzu viel erkennen konnten. »Wir müssen da runter«, stellte ich fest.
Das Unternehmen wäre bei jedem Wetter gefährlich gewesen, wir hätten jederzeit leicht abrutschen können, die Erdmassen hätten uns unter sich begraben. Durch den Schnee und die Kälte war zwar der Boden gefroren, aber der Pulverschnee und das Eis darunter machten es schwer voranzukommen, wir konnten nicht sehen, wohin wir traten, wussten nicht, wo es sicher war. Zentimeter für
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