Fischland-Rache
leite ich eine inzwischen sehr dezimierte Mordkommission im Fall Sascha Freese, der darüber hinaus keinen mehr sonderlich interessiert. Entschuldigung«, fügte er in Pauls Richtung hinzu.
»Entschuldigen Sie sich nicht bei mir. Sascha allerdings hätte es bedauert, als unwichtig eingestuft zu werden. Sehen Ihre Kollegen das nach dem Einbruch denn immer noch so?«
»Ja, und das hat was mit den Geschäften Ihres Bruders zu tun. Ich nehme an, Sie wissen heute nicht wesentlich mehr darüber?« Als Paul verneinte, fuhrt Dietrich fort: »Ihr Bruder besaà eine Immobilienfirma, von der nicht mehr viel übrig ist â nicht mal das Büro. Er hat seine Geschäfte zuletzt von zu Hause aus erledigt. Falls Sie sich fragen, warum Sie keinerlei Unterlagen, Aktenordner oder Ãhnliches in der Wohnung gesehen haben: Das Zeug steht bei uns und wurde akribisch, wenn auch ohne Ergebnis, durchgegangen. Die Ordner sind unvollständig, es fehlen eindeutig Papiere in der Chronologie â oder es gab für gewisse Vorgänge nie welche, wer weià das schon. Im Wohnzimmer hat auf einem Tisch am Fenster sehr wahrscheinlich ein Laptop gestanden, das konnte selbst ein ungeübtes Auge erkennen. Als wir die Wohnung zum ersten Mal betraten, war diese Stelle aber bereits leer.«
»Das heiÃt, es ist schon mal jemand eingebrochen?«, fragte Kassandra.
»Entweder das, obwohl wir keine entsprechenden Spuren fanden, oder Freese hat das Notebook selbst mitgenommen. Was uns zu der Frage führt, wo es jetzt ist. Es stand zumindest nicht in seinem Hotelzimmer, und leider spricht viel dafür, dass es vorerst verschollen bleibt.« Dietrich zuckte bedauernd mit den Schultern. »Um auf Freeses Geschäfte zurückzukommen: Sein einziger reeller Verdienst bestand in der Verwaltung einiger Mietshäuser, dazu gehörte unter anderem der Block, in dem er selbst wohnte. Ansonsten besaà er einige wenige Immobilien, die in solch katastrophalem baulichem Zustand sind, dass er sie kaum mehr losschlagen konnte. Dass er Geld von Ihnen wollte, wundert mich nicht. Er war nicht nur pleite, er hatte einen Haufen Schulden.«
»Warum sollte dann aber jemand bei ihm einbrechen?«
»Vielleicht hat einer seiner Gläubiger von seinem Ableben gehört und hoffte, in der Wohnung doch noch was von Wert zu finden«, schlug Kassandra vor.
»Das muss aber ein sehr zwielichtiger Gläubiger sein«, meinte Paul zweifelnd.
»Hm«, machte Dietrich. »Der Blonde Hans, ein Bordellbetreiber, der vor ein paar Monaten noch ein Gebäude von Ihrem Bruder gekauft hat, ohne zu ahnen, dass der Kasten ihm drei Wochen später zusammenfällt, wäre ein passendes Beispiel. Und falls Sie denken, solche Namen haben diese Leute nicht: doch, dieser schon. Er bestreitet den Bruch natürlich, aber eine Nachbarin hat ihn auf der StraÃe gesehen â leider weià sie nicht mehr, ob das gestern oder heute war, aber es wurde vorhin ein halber Fingerabdruck gefunden, der vermutlich vom Blonden Hans stammt, und ein blondes Haar auÃerdem. Es bestehen also diesbezüglich kaum Zweifel. Die Kollegen sind der Ansicht, dass ein möglicher erster Einbruch ebenso wenig mit dem Mord zu tun hat, sondern aus ähnlichen Motiven begangen wurde wie der heute, nur dass der Täter geschickter vorging. Das kann sein â oder auch nicht. Für mich persönlich ist der Fall Sascha Freese jedenfalls noch lange nicht gelöst.«
»Was uns wieder zu Heinz bringt«, resümierte Kassandra. »Wer auch immer ihn entweder absichtlich reinreiten wollte oder für seine Zwecke benutzt hat, muss Zugang zu seiner Waffe gehabt haben. Dabei sieht Heinzâ Waffenschrank mit dem elektronischen Zahlenschloss nicht aus wie ein Spielzeug.«
»Im Gegenteil, das ist einer der besten Waffenschränke, die es auf dem Markt gibt. Da ich nicht davon ausgehe, dass ein erfahrener Mann wie Heinz Jung sich strafbar gemacht und jemandem die sechsstellige Kombination verraten hat oder jemanden dabei hat zusehen lassen, wie er den Schrank öffnet, gibt es nur eine Möglichkeit: Der Täter hat gut geraten.«
»Heinz wird kaum sein Geburtsdatum benutzt haben«, protestierte Kassandra.
»Ich wage zu behaupten, dass es nicht unmöglich war, auf die Kombination zu kommen, die er stattdessen wählte. Das war sein einziger, wenn auch folgenschwerer Fehler, fürchte ich.«
Kassandra
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