Fischland-Rache
»Vielleicht ist sie selbst gerade in Stralsund.«
»Da können wir uns absichern.« Er holte sein iPhone, suchte im Verzeichnis nach der Nummer, unter der Mona zu erreichen war, wenn sie in Wustrow bei Inga übernachtete, schrieb sie auf und tippte eine andere an. »Morgen, Query, bitte entschuldige die frühe Störung, aber könntest du für mich eine Nummer anrufen, sagen, dass du dich verwählt hast, falls sich jemand meldet, und mir anschlieÃend Bescheid geben?« Pause. »Frag lieber nicht.« Wieder eine Pause, kürzer diesmal. »Danke, hast was gut bei mir.«
»Was schlummert da in dir?«, fragte Kassandra in einer Mischung aus Erschrecken, Verblüffung und Belustigung.
»Achim Detjen?«, schlug Paul vor. Kurz darauf meldete sich Query zurück, er hörte zu, bedankte sich nochmals und beendete das Gespräch. »Inga ist hier. Also?«
»Du bist skrupellos«, staunte Kassandra erneut, lächelte aber dabei.
»Das sieht bloà so aus.« Paul erwiderte das Lächeln nur halbherzig. »Ich kann nicht behaupten, dass mir das leichtfällt, was weniger mit den möglichen rechtlichen Konsequenzen als mit meinen ureigensten Gefühlen zu tun hat. SchlieÃlich weià ich selbst ganz gut, wie das ist, wenn einem jemand hinterherspioniert. AuÃerdem ist Inga Michas Tochter, und obwohl ich nichts entschuldigen will, könnte ich ihre Gründe verstehen, falls sie Sascha getötet hat. Aber falls sie es war, sitzt ihretwegen jemand im Knast â genau wie Micha damals für nichts und wieder nichts.« Er biss in sein Brötchen und hielt es anschlieÃend Kassandra hin. »Besser ein mageres als gar kein Frühstück.«
Während der gesamten Fahrt nach Stralsund brütete Kassandra vor sich hin, nach wie vor zweifelnd, ob das, was sie vorhatten, richtig war. Paul fuhr ins Parkhaus am Frankenwall, das weit genug entfernt lag von Ingas Wohnung in der Altstadt, damit sein Auto nicht auffiel. Zu Fuà machten sie sich auf den Weg, wobei sie die MönchstraÃe mieden, obwohl das der kürzeste Weg gewesen wäre. Dort allerdings wohnte Mona, gleich gegenüber vom Deutschen Meeresmuseum, das im ehemaligen Katharinenkloster untergebracht war. Falls sie nicht im Geschäft, sondern zu Hause war und zufällig aus dem Fenster schaute, ergäbe das ein paar Fragen, die sie vermeiden wollten.
In der MühlenstraÃe brauchte Kassandra nicht lange, um das richtige Haus zu finden. Sie wusste von Mona, dass es ein in Altrosa gestrichenes schmales Giebelhaus war und in der Nähe vom Alten Markt lag. Kassandra holte noch auf der anderen StraÃenseite das Schlüsselbund hervor. »Welches ist wohl der für die Haustür? Wir sollten nicht zu viel Zeit damit zubringen, die Schlüssel durchzuprobieren.«
»Diese zwei sehen aus, als gehörten sie zusammen. Bestimmt ist es einer von denen.« Zielstrebig überquerte Paul die StraÃe, trat in den etwas zurückliegenden Hauseingang und steckte den ersten Schlüssel ins Schloss, der nicht passte. In die Haustür waren Scheiben eingelassen, Kassandra hoffte, dass niemand durchs Treppenhaus herunterkam und ihn hantieren sah. Der zweite Schlüssel war der richtige. Alles in allem hatte es bloà ein paar Sekunden gedauert, die Tür zu öffnen, auch wenn es Kassandra viel länger vorgekommen war.
»Erste Etage, es gibt da nur eine Wohnung«, sagte sie und huschte zusammen mit Paul die Treppe hinauf. Während er aufschloss, lauschte sie noch einmal durch den Hausflur, doch auÃer einer schleudernden Waschmaschine im Stockwerk über ihnen war nichts zu hören. Dann standen sie unvermittelt in Ingas riesigem Wohnzimmer. Es gab keinen Flur, man wurde sofort hineingeworfen in diesen sparsam, aber mit exquisiten Antiquitäten möblierten Raum. Kassandra hatte sich nie Gründerzeitmöbel vorgestellt, wenn sie an Inga dachte. Die kantigen, aber reich verzierten Holzschränke waren nicht Kassandras Stil, gefielen ihr in dieser Umgebung jedoch trotzdem. AuÃer dem Wohnzimmer gab es noch einen Schlafraum, der wie ein Kontrapunkt wirkte, weil alles in ihm nüchtern und modern war, eine ebenso moderne Küche und ein Bad, in dem man Walzer tanzen konnte. Paul streifte Handschuhe über und näherte sich dem Buffet, das aus vielen kleinen und gröÃeren Fächern und Schubladen bestand. Kassandra zog ebenfalls Handschuhe
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