Fish im Trüben
Brian. Er hat einen schlechten Einfluß. Es ist alles seine Schuld...«
Sie fing an zu weinen, und ihre Mutter ging auf sie zu, um sie zu trösten, und warf mir über die bebenden Schultern hinweg einen haßerfüllten Blick zu.
»Sie gehen jetzt besser, junger Mann. Sie haben Rita schon genug aufgeregt. Wir mögen Sean Somers nicht in diesem Haus. Wenn er weg ist, dann kann man nur froh darüber sein, daß man ihn los ist, jedenfalls soweit das uns betrifft.«
Ich ging. Es sah aus, als hätte Brian Buckleys Familie ihn fortgeschickt, um ihn von Sean wegzubekommen. Vielleicht hatte Sean das zum Kippen gebracht.
Es sah nach einer Sackgasse aus, also rief ich Lizzie an und lud sie zum Mittagessen ein. Wir trafen uns im »Malaya«, verbrannten uns den Mund mit Hühnchen-Laksa und löschten die Flammen mit zu viel Weißwein; ich fragte Lizzie, was für ein geheimes Leben ein sechzehnjähriger Knallkopf wohl führen mochte.
»Anhaltspunkte ? «
Ich hatte seinen Zettel nicht mit, aber ich zitierte aus der Erinnerung.
»Maschine oder handgeschrieben?« Als sie meinen Ausdruck sah, sagte sie: »Bei Agatha Christie ist so was immer wichtig.«
Ich hatte den Verdacht, daß Lizzie das hier nicht ernst nahm, aber ich spielte mit. »Gedruckt.«
»Welche Art Papier?«
Ich seufzte. »Ein Fetzen aus einem Schulheft mit einer Art Liste hinten drauf.«
»Liste?«
»Farben, nehme ich an. Der Junge scheint sich für Kunst zu interessieren, aber niemand hat irgendwas gesehen von seinen...«
»Œuvre?«
»... Bildern. Er hat einen Amiga und jede Menge starker Software, laut seiner Eltern. Er hat den PC mitgenommen.«
»Was waren das für Farben?« unterbrach mich Lizzie, und ich hörte, daß in ihrer Stimme eine Idee mitschwang.
»Ich glaube, es war so was wie 2 Schwarz, 2 Weiß, 2 Himmelblau, 2 Preußischblau, 2 Rosa.«
»Ah. Weitere Anhaltspunkte?«
»Nur ein verchromtes VW-Zeichen. Vielleicht stiehlt er VWs.«
»Jackpot!« jubelte Lizzie. »Kumpel, du redest mit der richtigen Lady. Du hast es mit einem Sprayer zu tun.«
»Ein Sprayer?«
»Ein Graffitikünstler! Ein Sprayer! Ein Bomber!«
»Bist du sicher?«
»VW steht für Vandals Wanted. Man kann das nicht deutlicher ausdrücken.«
»Woher zum Teufel weißt du das? Nein, laß mich raten, du hast eine Story über Graffiti geschrieben.«
»Ja. Es war faszinierend. Die Liste, die du da hast, nennt man Einkaufszettel. Ein Junge, der ein tag entwirft...«
»Was ist ein tag?«
»Die Initialen, die du auf den Mauern und den Zügen siehst — sie können für den Namen eines Kids stehen oder die Signatur einer Gang sein.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel OSB für One Step Beyond oder CC für Crime City oder RSL für Resist Sydney’s Laws. Wie gesagt, ein Kid, das ein gutes tag entwirft, kann das Design zusammen mit der Farbskala verkaufen. Wer es kauft, muß bei dem Design bleiben und die Sprühfarben stehlen. Sie würden eher tot umfallen, als ihre Sachen zu kaufen.«
»Haben die Kids dir das erzählt?«
»Nein, ich hab Tony Frost unten bei der Bahnpolizei interviewt.«
»Vielleicht ist Sean in einer Gang«, sagte ich.
»Das hängt davon ab, ob er Gefallen an Gefahr findet oder nicht. Die Kids kriegen ständig die Köpfe abgeschlagen, wenn sie sich aus den Wagentüren hängen, um die Außenseite der Züge zu >bombardieren<. Und die Bullen sagen, daß Gangmitglieder Passagiere ausrauben und in Eisenwarenläden und Farblager einbrechen. Und da war doch dieses Mädchen, das ein paar von ihnen in Sutherland entführt und ermordet haben sollen, erinnerst du dich?«
Ich war im Moment nicht sicher, ob Sean ein Bomber war, aber es schien wahrscheinlich, daß er ein Designer war. Er hatte zweifellos die ganze Ausrüstung, sogar einen Farbdrucker.
»Besuch doch mal Tony Frost«, schlug Lizzie vor. »Er redet liebend gern über seine Arbeit.«
Ich fand die Bahnpolizei in der Mary Street, Nähe Hauptbahnhof, in einer Gegend, die rapide zu Glas- und Backsteinschluchten saniert wurde. Das Büro mit den verschrammten Schreibtischen, Schließschränken mit Eisenbahndokumenten und Fahndungsfotos von Sprayern an den Wänden lag in einem schäbigen Sechzigerjahre-Flachbau, der nicht für die Ewigkeit gemacht zu sein schien.
Sergeant Frost war ein harter, alter Bahnbulle, der seine Beute so gut kannte wie ein Frettchen das Kaninchen und der die Jagd liebte. Er hatte einen Bauchansatz, sah aber kräftig aus. Ich fragte, ob er von Sean Somers gehört habe, und er verneinte,
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