Fish im Trüben
aber als ich ihm das Foto des Jungen zeigte, lachte er brüllend.
»Das ist Sad Sack«, sagte er. »Ich jage ihn jetzt schon zwei Jahre. Sein Zeichen findet sich auf der ganzen Hornsby-Linie — SS. Ich hab ihn bisher nur zweimal zu sehen bekommen, aber ich vergesse ein Gesicht niemals. Ich erinnere mich sogar an die Pickel. Wo ist der Scheißkerl?«
»Gute Frage«, sagte ich. »Was ist mit Brian Buckley, kennen Sie den?«
»Aber sicher. Der macht genau in dieser Minute einen kleinen Erholungsurlaub in der Cobham-Jugendstrafanstalt, mit freundlicher Empfehlung der Bahnpolizei.«
»Das paßt zusammen«, sagte ich. »Seine Mutter beschuldigt Sean Somers, ihn auf Abwege gebracht zu haben.«
»Sehr wahrscheinlich«, sagte Frost. »Buckley ist der geborene Mitläufer. Was wollten sie noch gleich von Sad Sack?«
»Er ist von zu Hause ausgerückt, und seine Leute haben mich engagiert, ihn zurückzubringen.«
»Die müssen eine Menge Geld haben«, sagte Frost neugierig.
»St. Ives, Somers Baumaterial, Harbourside School.«
»Warum lassen die den kleinen Punk frei rumlaufen und Züge versauen?« fragte er.
»Sie wissen es nicht. Ich hab es ihnen noch nicht gesagt. Seine Mutter ist sehr nervös; sie wird die Wände hochgehen.«
»Los, suchen wir ihn«, sagte der Bulle. »Wir haben ein Foto und einen Namen. Viele von diesen Kindern sind mir noch was schuldig. Ich werde ein paar kommen lassen.«
Nach einigem Drängen und einer Rückfrage bei seinen Vorgesetzten war Frost einverstanden, mich auf seine Runde zu nehmen und Seans Foto herumzuzeigen. Während er telefonierte, kamen zwei junge Männer herein, die gegeltes Haar, fingerlose Lederhandschuhe, Jeans, teure Lederjacken, Cowboystiefel und künstlich-cooles Lächeln trugen.
»Undercover-Bullen«, sagte Frost ungefragt und stellte uns vor.
Ich fragte einen von ihnen, ob das eine Bandenuniform sei.
»Nee. Die tragen allen möglichen alten Scheiß, aber sie mögen hübsche Klamotten«, sagte Smiley. »Also passen Sie gut auf, wenn Sie eine gute Lederjacke haben. Wenn es ihre Größe ist, dann bedrohen die Sie mit dem Messer und reißen sie Ihnen runter. Und wenn Sie sich auf einen Kampf einlassen, dann werfen die Sie aus dem Zug.«
»Yeah«, sagte der andere. »Die sind so eine Art Sozialisten, wissen Sie.« Sie lachten.
Während sie mich mit ihren Anekdoten aus der Graffiti-Szene erfreuten, zeigte mir Frost eine Akte voller Farbfotos von verschmierten Zügen und besudelten Wänden. Mein Blick blieb für einen Moment an einer Eisenbahnbrücke haften, auf der der Slogan VERPFUSCHTES LEBEN prangte. Und an dem Polaroidfoto eines Zuges, dessen gesamte Verkleidung mit dem SS-Zeichen in Schwarz, Rot und Weiß besprüht war.
Freitag abends sind alle gelangweilten Jugendlichen draußen, die meisten von ihnen in der George Street, wo sie bei den Kinopalästen rumhängen; da gingen wir hin. Nach einem Stopp in der Polizeiwache im Hauptbahnhof nahmen wir den Zug nach Town Hall.
In der George Street herrschte fürchterlicher Lärm — Zuhälter in Achtzylindern, kreischende Reifen, donnernde Rapmusik aus Autoradios, Meuten hormongetriebener Teenager balgten herum, Familien mit plärrenden Kindern strömten in und aus den Kinos, Straßenmusikanten quälten eine Vielzahl von Instrumenten, und Menschen scharten sich um einen Pflastermaler, der einen Teil der Sixtinischen Kapelle in grellen Kreidefarben reproduzierte.
Unbeeindruckt nahm Frost eine strategische Position vor Hoyts ein. Es war zum Piepen: Gruppen von Kids kamen auf uns zu, sahen Frost, sahen noch mal hin und versuchten dann abzuhauen. Ein paar schafften es; auf den Rest ging er mit der Gnadenlosigkeit einer Rohrkröte los, die Mäuse jagt. Danach lief ein kompliziertes Ritual ab. Sie beäugten sich mißtrauisch, Frost lächelte wie ein freundlicher Wolf, Höflichkeiten wurden ausgetauscht, Fragen nach abwesenden Freunden gestellt (um zu zeigen, daß er das Dossier jedes einzelnen Kids im Kopf hatte), und dann kam ganz beiläufig der Name Sad Sack zur Sprache. Wenn sie jegliche Bekanntschaft abstritten, zeigte ich Seans Foto vor.
Schließlich sagte ein unterernährter Junge mit Rattengesicht und einer Frisur, auf der ein Hubschrauber hätte landen können, daß er ihn gestern auf dem Broadway, Nähe Hauptbahnhof, gesehen habe.
»Wo ist er jetzt?« fragte ich.
»Weiß nich«, sagte der Junge.
Ich langweilte mich langsam. Frost merkte es schließlich und fragte, ob ich ein bißchen Action auf den Zügen sehen
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