Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
untereinander und wären gar nicht fähig, sich zu einer Bande zusammenzuschließen », widersprach ich träge. Aus halbgeschlossenen Augen schaute ich über das glitzernde Meer in der Bucht. Ohne Molly anzusehen, spürte ich ihre Nähe und eine faszinierende, rätselhafte Spannung. Sie war sechzehn, ich ungefähr vierzehn, und diese zwei Jahre Altersunterschied standen zwischen uns wie eine Mauer. Trotzdem fand sie immer Zeit für mich und schien Freude an meiner Gesellschaft zu haben. Wenn ich aber nach ihr spürte, wich sie aus, blieb stehen, um einen Stein aus ihrem Schuh zu entfernen, oder kam plötzlich auf die Krankheit ihres Vaters zu sprechen und wie sehr er sie brauchte. Allerdings wurde sie unsicher und wortkarg, wenn ich mich meinerseits zurückzog, und versuchte dann, in meinem Gesicht zu lesen. Mir kam es vor, als wären wir durch ein straff gespanntes Seil verbunden, das geheimnisvolle Signale weiterleitete. Doch jetzt hörte ich einen Anflug von Unmut aus ihrem Ton heraus.
»Oh. Ich verstehe. Wie schön, dass du so gut über die Entfremdeten Bescheid weißt, besser als Leute, die von ihnen beraubt worden sind.«
Ihr bissiger Kommentar traf mich unvorbereitet, und ich musste mich erst besinnen, bevor ich etwas sagen konnte. Molly wusste nichts von Chade und mir, ganz zu schweigen von unserem geheimen Ritt nach Ingot. Ihres Wissens war ich ein Laufbursche oben in der Burg und arbeitete für den Stallmeister, wenn ich nicht gerade für den Schreiber Einkäufe besorgte. Natürlich konnte ich ihr nicht verraten, dass mein Wissen aus erster Hand stammte, und noch weniger, dass ich gefühlt hatte, was entfremdet sein bedeutete.
»Ich habe die Wachen reden gehört, nachts, bei den Stallungen und in der Küche. Soldaten wie sie kommen viel herum und kennen Menschen jeden Schlags, und sie sagen, dass Entfremdete keine Freundschaft kennen und keine Blutsverwandtschaft. Trotzdem, ich nehme an, wenn einer von ihnen auf die Idee käme, Reisende auszurauben, würden die anderen sein Beispiel nachahmen, und es wäre dann fast das Gleiche wie eine Räuberbande.«
»Vielleicht.« Meine Erklärung schien sie besänftigt zu haben. »Was meinst du, machen wir da oben unser Picknick?«
»Da oben« war eine Felsbank am oberen Rand der Klippen, den sie sich statt unseres Stammplatzes auf den Riffen ausgesucht hatte. Doch ich nickte zustimmend, und danach hatten wir einiges zu tun, um den Aufstieg zu bewältigen. Es war eine mühselige Kletterpartie. Ich ertappte mich dabei, dass ich zu Molly hinschielte, um zu sehen, wie sie mit ihren Röcken zurechtkam. Dabei wartete ich auf Gelegenheiten, stützend nach ihrem Arm zu greifen, wenn sie das Gleichgewicht zu verlieren
drohte, oder ihr mit dem Korb über gefährliche Stellen hinwegzuhelfen. Mit einer blitzartigen Erkenntnis wurde mir klar, dass sie den Platz ausgewählt hatte, um genau diese Situation herbeizuführen. Oben angelangt, setzten wir uns hin. Mit dem Korb zwischen uns schauten wir aufs Meer hinaus, und ich genoss die Erkenntnis, dass sie sich meiner bewusst war. Die Strömung zwischen uns erinnerte mich an die Keulen der Jongleure beim Frühlingsfest, die sie sich gegenseitig zuwarfen, hin und her, hin und her und immer schneller und schneller. Das Schweigen dauerte an, bis einer von uns etwas sagen musste. Ich schaute sie an, aber sie beugte sich rasch über den Picknickkorb und sagte: »Oh, Löwenzahnwein? Ich dachte, der muss bis nach Mittwinter liegen?«
»Dieser ist noch vom letzten Jahr. Er hatte den ganzen Winter Zeit zum Reifen«, erklärte ich, griff nach der Flasche und versuchte, mit dem Messer den Korken herauszuziehen. Molly sah sich eine Weile an, wie ich mich abmühte. Dann nahm sie mir die Flasche aus der Hand, zog ihr kleines, schmales Gürtelmesser und hatte mit zwei geübten Handgriffen das Kunststück vollbracht.
Sie bemerkte meinen neidischen Blick und zuckte die Schultern. »Ich habe für meinen Vater Flaschen entkorkt, seit ich denken kann. Früher, weil er meistens zu betrunken war, heute, weil er nicht mehr die Kraft in den Händen hat, selbst wenn er nüchtern ist.« Schmerz und Verbitterung sprachen aus ihren Worten.
Ich wechselte hastig das Thema. »Sieh mal, die Regenmaid.« Ein schnittiger Segler näherte sich unter Rudern dem Hafen. »Ich finde, sie ist das schönste Schiff, das wir haben.«
»Sie ist auf Begleitfahrt gewesen. Die Tuchhändler haben
eine Sammlung veranstaltet. Fast jeder Kaufmann in der Stadt hat etwas
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