Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
siedendheiß zu Bewusstsein kam, wie ich mir gerade gedankenlos mit dem Jackenärmel den Mund abgewischt hatte.
Ich zerbrach mir den Kopf nach einem Gesprächsthema, um das bedrückende Schweigen zu unterbrechen, das an meinen Nerven zerrte. Das Brot schmeckte trocken und krümelig, und als ich einen Schluck Bier nahm, um es hinunterzuspülen, verschluckte ich mich und musste husten. Ihre Augenbrauen zuckten, und sie presste die Lippen zusammen. Obwohl ich auf meinen Teller starrte, konnte ich spüren, wie sie mich ansah. Ich schlang das Essen hinunter, um möglichst schnell diesen hellgrauen Augen und diesem ernsten, schweigsamen Mund zu entfliehen. Noch kauend, erhob ich mich rasch, stieß gegen den Tisch und hätte in aller Eile fast noch die Bank umgeworfen. Auf halbem Weg zur Tür erinnerte ich mich an Burrichs Anweisungen, wie man sich wohlerzogen von einer Dame zu verabschieden hatte. Ich schluckte den letzten ungekauten Bissen hinunter.
»Habt eine gute Nacht, Mylady«, murmelte ich, weil mir nichts Gescheiteres einfiel, und bewegte mich langsam weiter auf die Tür zu.
»Warte«, sagte sie und fragte, als ich stehen blieb: »Schläfst du oben oder in den Ställen?«
»Beides. Manchmal. Ich meine, sowohl als auch. Gute Nacht.« Diesmal ergriff ich regelrecht die Flucht und war schon auf der
zweiten Treppe, bevor ich mich über die seltsame Frage zu wundern begann. Erst als ich mich ausziehen wollte, um ins Bett zu gehen, merkte ich, dass ich noch den leeren Bierkrug in der Hand hatte, und noch beim Einschlafen kam ich mir vor wie ein Narr. Nur wusste ich nicht, wieso eigentlich.
KAPITEL 12
PRINZESSIN PHILIA
D ie Roten Korsaren waren die Geißel ihres eigenen Volkes, lange bevor sie die Sechs Provinzen heimsuchten. Zu Beginn nicht mehr als die Anhängerschaft eines obskuren Geheimbunds, erlangten sie durch rücksichtsloses Taktieren sowohl politische als auch religiöse Macht. Clanführer und Älteste, die sich ihrem Diktat nicht beugen wollten, hatten oft miterleben müssen, wie ihre Frauen und Kinder Opfer des Fluchs wurden, den wir den Roten Wahn nennen. Hartherzig und grausam, wie die Outislander uns erscheinen mögen, haben sie doch einen hohen Begriff von Ehre und ahnden mit furchtbaren Strafen jeden Verstoß gegen das Gesetz der Gemeinschaft. Man stelle sich nur die Seelenqualen des Vaters vor, dessen Sohn entfremdet wurde. Entweder muss er seine Missetaten verschweigen oder zusehen, wie der Sohn für seine Vergehen bei lebendigem Leib geschunden wird, während er darüber hinaus nicht nur den eigenen Erben, sondern auch den Respekt der anderen Clans verliert. Die Drohung mit der Entfremdung war ein wirkungsvolles Mittel zur Unterdrückung von Widerstand und Auflehnung gegen die Tyrannei der Roten Korsaren.
Zu dem Zeitpunkt, als die Roten Korsaren immer häufiger an
unseren Küsten auftauchten, konnten sie sich als die unangefochtenen Herrscher der Äußeren Inseln betrachten. Wer sich offen gegen sie stellte, musste sterben oder fliehen. Andere entrichteten widerwillig ihren Tribut und ertrugen zähneknirschend die Willkür der Großmeister des Geheimbundes. Doch viele schlossen sich aus freien Stücken den Korsaren an, strichen den Rumpf ihrer Schiffe rot und fragten nicht nach der Rechtmäßigkeit ihres Tuns. Man kann davon ausgehen, dass diese Konvertiten zumeist aus den niederen Clans stammten, denen sich nie zuvor die Möglichkeit geboten hatte, an Einfluss zu gewinnen. Dagegen fragte er, der über die Roten Korsaren gebot, nicht nach der Herkunft eines Mannes, solange ihm bedingungslose Ergebenheit entgegengebracht wurde.
Ich sah die vornehme Dame noch zweimal, bevor ich herausfand, wer sie war. Die zweite Begegnung fand am nächsten Abend statt, ungefähr zur gleichen Stunde. Molly hatte damit zu tun, ihre Beeren einzumachen, deshalb war ich mit Kerry und Dick durch die Tavernen gezogen. Vielleicht hatte ich einen, höchstens zwei Becher Ale mehr gehabt, als ich vertragen konnte. Ich fühlte mich weder beduselt noch war mir übel, aber ich passte auf, wo ich meine Füße hinsetzte, denn einen Fehltritt in ein Schlagloch hatte ich in den dunklen Gassen bereits hinter mir.
An den staubigen Küchenhof mit seinem Katzenkopfpflaster und den Wagenstellplätzen schließt sich ein von Hecken umfriedetes Geviert an, der sogenannte Frauenhag, so benannt nicht etwa, weil er ausschließlich den Frauen vorbehalten gewesen wäre, sondern weil er von Frauen gehegt und gepflegt wird. Es ist ein
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