Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
schläfrige Zufriedenheit, sogar bei den neugeborenen Welpen. Im Pferch standen zwei fremde Pferde, in einer der leeren Boxen war ein abgerichtetes Damenreitpferd untergebracht. Das Pferd einer Edelfrau, die zu Besuch an den Hof gekommen war, dachte ich. Was sie im Spätsommer noch bewogen haben mochte, diese Reise zu unternehmen? Aber ihre Pferde waren aller Ehren wert. Ich verließ die Ställe und ging hinauf zum Palas.
Aus lieber Gewohnheit unternahm ich einen Abstecher in die Küche. Die Köchin war vertraut mit dem Appetit von Stalljungen und Soldaten und wusste, dass die regulären Mahlzeiten oft nicht lange genug vorhielten. Neuerdings hatte ich ständig Hunger, und Mistress Hurtig klagte schon, wenn ich nicht aufhörte,
so schnell in die Höhe zu schießen, müsste ich mich in Baumrinde hüllen wie ein wilder Mann, denn sie wüsste nicht mehr, wie sie mit dem Auslassen der Säume nachkommen sollte. So in Gedanken öffnete ich die Tür zur Küche und wähnte mich schon bei den kleinen Weißbrötchen, die die Köchin in einem zugedeckten Tontopf aufzubewahren pflegte, wünschte mir dazu einen bestimmten, extra scharfen Käse, wozu wiederum ein gut gekühltes Bier besonders munden würde.
Am Tisch saß eine Frau. Sie hatte sich einen Imbiss aus Apfelschnitten und Käse hergerichtet, doch als ich hereinkam, sprang sie auf und griff sich mit der Hand ans Herz, als wäre ich der Narbenmann persönlich. Ich blieb stehen. »Es lag nicht in meiner Absicht, Euch zu erschrecken, Mylady. Ich hatte nur Hunger und wollte einen Bissen essen. Stört es Euch, wenn ich bleibe?«
Die Frau sank langsam wieder auf die Bank zurück. Insgeheim wunderte ich mich, was jemand ihres Standes mitten in der Nacht allein in der Küche suchte. Denn weder das schlichte Gewand noch die Müdigkeit in ihrem Gesicht vermochten darüber hinwegzutäuschen, dass sie von hoher Geburt war. Unzweifelhaft handelte es sich bei ihr um die Reiterin des Damenreitpferdes im Stall und nicht um die Zofe irgendeiner Edelfrau. Wenn sie nachts hungrig aufgewacht war, weshalb hatte sie nicht eine Dienerin geschickt, um ihr etwas zu holen?
Ihre Hand wanderte vom Herzen zur Kehle, wie um ihren fliegenden Puls zu beruhigen. Als sie sprach, verriet auch die wohlklingende, melodische Stimme ihre vornehme Herkunft. »Meine Gegenwart soll dich nicht davon abhalten, deinen Hunger zu stillen. Ich bin nur etwas erschrocken. Du … bist so plötzlich hereingekommen.«
»Ihr seid sehr gütig, Mylady.«
Ich machte meine Runde durch die Küche, vom Bierfass zum Käseregal zum Brottopf, doch wohin ich mich auch wandte, folgte mir ihr Blick. Sie aß nicht weiter, als hätte sie plötzlich keinen Appetit mehr. Als ich mich umdrehte, nachdem ich meinen Krug mit Ale gefüllt hatte, war ihr Mund leicht geöffnet. Sofort schaute sie zur Seite. Ihre Augen bewegten sich, aber sie blieb stumm.
»Kann ich Euch irgendwie behilflich sein?«, erkundigte ich mich höflich. »Etwas holen? Ale vielleicht?«
»Wenn du so freundlich sein möchtest.« Sie sagte es leise. Ich brachte ihr den Krug, den ich soeben gefüllt hatte, und stellte ihn vor ihr auf den Tisch. Sie lehnte sich bei meinem Näherkommen nach hinten, als hätte ich eine ansteckende Krankheit. Ich fragte mich, ob mir von der Arbeit vielleicht noch Stallgeruch anhaftete, aber nein. Molly hätte mich darauf aufmerksam gemacht. Sie war in solchen Dingen immer ganz aufrichtig mit mir.
Ich zapfte mir am Fass einen zweiten Krug und fasste den Entschluss, mit meiner späten Mahlzeit in mein Zimmer hinaufzugehen. Das ganze Verhalten der Fremden verriet, wie viel Unbehagen meine Anwesenheit ihr bereitete. Doch kaum machte ich mich mit Brot, Käse und vollem Krug auf den Weg zur Tür, da zeigte sie auf die ihr gegenüberliegende Bank. »Setz dich«, forderte sie mich auf, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Es ist nicht recht, dass ich dich verscheuche.«
Das klang weder nach Befehlston noch nach einer Einladung, sondern war eher ein Mittelding zwischen beidem. Wohl oder übel gehorchte ich ihr, und natürlich musste mir beim Abstellen des Krugs das Bier überschwappen. Wieder fühlte ich ihren
Blick auf mir ruhen. Ich zog den Kopf etwas ein, um diesem Blick auszuweichen, und begann hastig zu essen, so verstohlen wie eine Maus in der Speisekammer, die sich von der Katze belauert fühlt. Sie starrte mich nicht einfach unhöflich an, dennoch musterte sie mich, was meine Bewegungen etwas tollpatschig werden ließ und mir
Weitere Kostenlose Bücher