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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Peitschenhieb war anscheinend eine Prüfung gewesen. Hatte ich sie bestanden, oder hatte ich versagt?
    Das Turmdach war zu einer kahlen Fläche geworden. Nur grüne Moosadern und alte Rinnsale in der schmutzigen Erde deuteten auf den Garten hin, in dem einst an schönen Tagen die edlen Damen und Herren gewandelt waren. Auf Galens Befehl nahmen wir nach Alter und Körpergröße geordnet in zwei Reihen Aufstellung. Dann trennte er uns nach Geschlecht. Die Mädchen wies er auf einen Platz weiter hinten und rechts von uns Jungen. »Ich dulde keine Ablenkungen und keine Störungen. Ihr seid hier, um zu lernen, nicht um euch zu vergnügen«, warnte er. Seine nächste Anweisung lautete, wir sollten auf Armeslänge
von unserem Nebenmann wegtreten, bis sich unsere Fingerspitzen nicht mehr berührten. Daraus schloss ich, dass uns körperliche Übungen bevorstanden, doch wir mussten stillstehen und zuhören, während er seine Ansprache hielt.
    »Seit siebzehn Jahren bin ich nunmehr Gabenmeister dieser Burg. Bisher habe ich kleine Gruppen unterrichtet, und das in aller Stille. Wer keine ausreichende Begabung zeigte, der wurde abgewiesen. Während dieser Zeit bestand angesichts der Situation in den Sechs Provinzen keine Erfordernis, mehr als eine Handvoll Schüler auszubilden. Ich wählte nur die vielversprechendsten aus und vergeudete keine Mühe an solche, denen es an Talent oder Disziplin mangelte. Und: In den letzten fünfzehn Jahren habe ich niemanden mehr in den Stand eines Kundigen der Gabe erhoben.
    Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Roten Korsaren verheeren unsere Küsten und tun unserem Volk Gewalt an. König Listenreich und Prinz Veritas machen von ihrer Gabe Gebrauch, um uns zu schützen. Ihre Bemühungen sind genauso groß und zahlreich wie ihre Erfolge, obwohl der einfache Mann auf der Straße nichts davon ahnt. Ich versichere euch, gegen die Träger der Gabe, die ich herangebildet habe, können die Outislander nicht bestehen. Es mag ihnen vielleicht gelungen sein, uns einige Male zu überrumpeln, aber die Kräfte, die ich geschaffen habe, um ihnen zu widerstehen, werden sich als stärker erweisen.«
    Ein Feuer brannte nun in seinen fahlen Augen, und er reckte die Hände zum Himmel, wie um die himmlischen Mächte zu beschwören. Lange stand er schweigend so da, dann ließ er die Arme wieder sinken.
    »Dessen bin ich gewiss«, fuhr er ruhiger fort. »Dessen bin
ich gewiss. Die Kräfte, die ich geschaffen habe, werden bestehen. Doch unser Souverän, mögen alle Götter ihn segnen und erhalten, zweifelt an mir, und da er mein König ist, beuge ich mich seinem Willen. Er verlangt, dass ich mich unter euch, die ihr von geringem Blut seid, umschaue, ob ich darunter jemanden finde mit der Befähigung und dem Willen, mit aufrichtiger Entschlossenheit und ganzer Seele ein würdiger Schüler der Gabe zu sein. Dies werde ich tun, weil mein König es mir so befohlen hat. Der Überlieferung zufolge hat es in früheren Zeiten viele der Gabe Kundige gegeben, die an der Seite ihres Königs für die Sicherheit des Reiches wirkten. Vielleicht verhielt es sich wirklich so, aber vielleicht übertreiben die alten Sagen auch. Wie dem auch sei, mein König erwartet von mir, dass ich ihm nach dem Vorbild der alten Bräuche einen exklusiven Zirkel von Kundigen schaffe, und deshalb will ich es versuchen.«
    Die fünf Frauen im Hintergrund schienen für ihn nicht zu existieren, denn er würdigte sie keines Blickes. Was mochten sie ihm getan haben, das diese offensichtliche Geringschätzung rechtfertigte? Serene kannte ich flüchtig, weil auch sie eine gelehrige Schülerin Fedwrens gewesen war. Fast glaubte ich, die Verbitterung zu spüren, die in ihr brannte. In der Reihe neben mir scharrte einer mit den Füßen. Wie ein Habicht stürzte Galen auf ihn zu.
    »Wir sind ungeduldig, nicht wahr? Gelangweilt vom Gerede eines alten Mannes?«
    »Ich habe einen Krampf in der Wade, Herr«, verteidigte sich der Junge unklugerweise.
    Galen schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht. »Schweig und steh still. Oder geh. Mir ist es gleich. Du lässt es schon jetzt an Ausdauer vermissen, um ein Kundiger zu werden. Aber der
König hat dein Hiersein für würdig befunden, deshalb werde ich versuchen, aus unwertem Material etwas Brauchbares zu formen.«
    Ich bebte innerlich. Denn während Galen zu dem Jungen sprach, sah er mich an. Als trüge ich die Schuld an der Störung des Jungen. Eine Welle der Abneigung gegen diesen Mann durchströmte mich. Unter

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