Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
Hods Fuchtel hatte ich manche Schläge einstecken müssen und selbst bei Chade einige Unannehmlichkeiten erduldet, wenn er an mir Griffe und Strangulierungstechniken demonstrierte und einige harmlosere Methoden, einen Mann zum Schweigen zu bringen. Und von Burrich hatte ich ein gehöriges Pensum an Kopfnüssen, Stößen und Maulschellen erhalten, wobei manche vielleicht gerechtfertigt waren, aber andere nur Ausbruch der Ungeduld eines vielbeschäftigten Mannes. Galen hatte es allerdings offensichtliche Freude bereitet, den Jungen zu schlagen. Mit ausdruckloser Miene bemühte ich mich ihn anzusehen, als wäre nichts geschehen, denn ich wusste, falls ich auch nur einmal den Blick abwandte, würde er mich sofort der Unaufmerksamkeit beschuldigen.
Zufrieden nickte Galen vor sich hin und setzte seinen Vortrag fort. Um die Gabe zu beherrschen, musste er uns zuvor Selbstbeherrschung beibringen. Strenge Askese war der Schlüssel dazu. Am nächsten Morgen, bevor die Sonne über den Horizont stieg, sollten wir uns einfinden. Ohne Schuhe, Strümpfe, Umhänge oder wollene Kleidungsstücke. Wir hatten baren Hauptes aufzutreten und darauf zu achten, dass wir von Kopf bis Fuß peinlich sauber waren. Er hielt uns dazu an, seine Essund Lebensgewohnheiten zu übernehmen. Das hieß unter anderem Verzicht auf Fleisch, süße Früchte, Gewürze, Milch und »frivole Speisen«. Erlaubt waren Haferbrei und kaltes Wasser,
trocken Brot und gekochtes Wurzelgemüse. Jegliche »überflüssige« Unterhaltung hatte zu unterbleiben, insbesondere mit Angehörigen des anderen Geschlechts. Er warnte uns ausführlich vor sinnlichen Begierden jeglicher Art, eingeschlossen das Verlangen nach Nahrung, Schlaf oder Geborgenheit. Und er ließ uns wissen, dass er Anweisung gegeben hatte, für uns im Speisesaal einen getrennten Tisch aufzustellen, an dem wir unsere frugalen Mahlzeiten einnehmen konnten, ohne mit eitlem Geschwätz belästigt zu werden. Oder mit neugierigen Fragen. Den letzten Satz sprach er fast im Ton einer Drohung aus.
Dann ließ er uns eine Reihe von Übungen machen. Wir mussten die Augen schließen und die Augäpfel so weit wie möglich nach oben verdrehen. Dann sollten wir versuchen, sie ganz nach hinten zu rollen, als wollte man in seinen Kopf hineinsehen. »Spürt ihr den Druck, der dabei entsteht? Stellt euch vor, was ihr sehen könntet, wenn es möglich wäre, einen Blick in das eigene Gehirn zu tun. Wäre es würdig und angemessen?« Er verlangte von uns, mit geschlossenen Augen auf einem Bein zu stehen. Damit galt es, ein Gleichgewicht zu finden, nicht nur des Körpers, sondern des Geistes. »Verbannt alle unwürdigen Gedanken aus eurem Bewusstsein, und ihr könnt endlos in dieser Haltung verharren.«
Während wir mit immer noch geschlossenen Augen versuchten, seinen fortlaufenden Anweisungen Folge zu leisten, schritt er zwischen uns auf und ab. Nur das Pfeifen der Reitgerte verriet mir, wo er sich befand. »Konzentration!«, befahl er oder: »Bemüht euch, versucht es wenigstens.« Ich selbst bekam die Gerte an diesem Tag viermal zu spüren. Nicht, dass er fest zuschlug, aber es war zermürbend, von einer Peitsche berührt zu werden, selbst wenn es nicht wehtat. Beim letzten Mal traf mich
der Schlag nahe am Kopf, die Lederschnur legte sich um meinen bloßen Hals, und die geknotete Spitze schnellte gegen mein Kinn. Ich zuckte zusammen, doch es gelang mir, auf einem Bein stehend, gleichzeitig das Gleichgewicht zu halten und auch die Augen nicht zu öffnen. Als er weiterging, fühlte ich, wie an meinem Kinn ein Blutstropfen hervorquoll.
Wir verbrachten den ganzen Tag oben auf diesem Turm. Er ließ uns erst gehen, als die Sonne nur noch wie eine halbe Kupfermünze über dem Horizont zu sehen war und der frische Abendwind über die Terrasse strich. Kein einziges Mal hatte er uns eine Pause gegönnt, um etwas zu essen, zu trinken oder für andere Verrichtungen. Mit grimmigem Lächeln schaute er zu, wie wir an ihm vorbeidefilierten. Erst als die Tür sich zwischen ihm und uns geschlossen hatte, fiel der Bann von uns ab, und wir stürmten wie befreit die Treppe hinunter.
Ich war ausgehungert, meine Hände von der Kälte rot und geschwollen und mein Mund wie ausgedörrt. Bei dem Versuch zu sprechen, hätte ich nur ein Krächzen herausgebracht. Den anderen schien es ähnlich zu gehen oder noch schlimmer. Ich wenigstens war an körperliche Anstrengungen gewöhnt, bei jedem Wind und Wetter, aber Merry zum Beispiel, ungefähr ein Jahr
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