Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
inspizieren. Ich hatte gehofft, ein Besuch bei Molly würde mich aufmuntern und mir etwas Lebensfreude wiedergeben, doch als ich in den Laden trat, war sie damit beschäftigt, drei Bestellungen fertig zu machen, die für auslaufende Schiffe bestimmt waren. Ich setzte mich neben den Ofen im Verkaufsraum. Ihr Vater hockte mir gegenüber, trank und starrte mich finster an. Trotz der Schwächung durch seine Krankheit, war er ansonsten noch der Alte, und an Tagen, an denen er sich wohl genug fühlte, aufzustehen, fühlte er sich auch wohl genug, zu trinken. Nach einer Weile gab ich jeden Versuch auf, ein Gespräch mit ihm in Gang zu bringen, und sah schweigend zu, wie er ein Glas nach dem anderen leerte und seine Tochter schlechtmachte, während Molly geschäftig die Ware zusammenpackte und sich bemühte, gleichzeitig freundlich zu ihren Kunden zu sein. Die triste Schäbigkeit des Ganzen bedrückte mich.
Gegen Mittag sagte sie zu ihrem Vater, sie hätte eine Bestellung abzuliefern und würde so lange das Geschäft schließen. Sie gab mir ein Paket Kerzen zu tragen, lud sich selbst die Arme voll, und wir gingen hinaus. Die Schimpftiraden ihres Vaters
schallten hinter uns her, aber Molly achtete nicht darauf. Draußen fröstelten wir im kalten Wind. Ich folgte Molly zur rückwärtigen Seite des Hauses, wo sie bedeutsam einen Finger an die Lippen legte, dann öffnete sie die Hintertür und legte ihre Kerzenbündel in den kleinen Windfang. Mein Paket wurde an der gleichen Stelle deponiert. So waren wir frei für einen Spaziergang durch den Ort.
Erst schlenderten wir ziellos umher und redeten nur wenig. Sie wunderte sich über die Blutergüsse in meinem Gesicht; ich erklärte ihr, ich wäre hingefallen. Der scheußliche, böige Wind hatte sowohl Käufer als auch Händler vom Marktplatz vertrieben, so dass er verlassen dalag. Sie schenkte Fäustel viel Aufmerksamkeit, und er genoss es sichtlich. Auf dem Rückweg kehrten wir zum Aufwärmen in eine Teestube ein, wo wir Glühwein tranken und sie Fäustel kraulte und lobte, bis er sich schwelgerisch auf den Rücken wälzte. Mir fiel auf, wie deutlich Fäustel sich ihrer Empfindungen bewusst war, ihre Wahrnehmung blieb dagegen eher oberflächlich. Ich spürte nach ihr, aber sie war heute flatterhaft und unbeständig wie ein Duft, der einmal stark, einmal schwach vom Wind herangetragen wird. Ich hätte beharrlicher in ihr Bewusstsein vordringen können, aber es kam mir sinnlos vor. Mich befiel ein Gefühl der Einsamkeit, so etwas wie die resignierte Gewissheit, dass sie für mich innerlich schon immer so blind gewesen war wie jetzt für Fäustel und dass sie dies immer bleiben würde. Ich akzeptierte ihre Worte wie ein Vogel trockene Brotkrumen und rührte nicht an dem wiederkehrenden Schweigen, das sie zwischen uns errichtete. Schon bald sagte sie, es würde Zeit, nach Hause zu gehen, sonst könnte es schlimm für sie werden. Denn wenn ihr Vater auch nicht mehr die Kraft hatte, sie zu schlagen, so war er doch imstande,
seinen Bierkrug auf dem Boden zu zerschmettern oder Regale umzustürzen, um seinem Missmut Ausdruck zu verleihen. Sie erzählte mir das mit einem schiefen kleinen Lächeln, als wäre es eine Anekdote und eigentlich ganz lustig. Ich brachte kein Lächeln zustande, worauf sie nur zur Seite schaute.
Nachdem ich ihr den Umhang über die Schultern gelegt hatte, verließen wir die Teestube und gingen die steile Gasse hinauf. Wir mussten uns gegen den kalten Wind stemmen, der uns heftig ins Gesicht blies. Dies war eine passende Metapher für mein ganzes bisheriges Leben, schoss es mir durch den Kopf. Vor der Tür überrumpelte sie mich mit einer kurzen Umarmung und einem Kuss auf den Mundwinkel. »Neuer …«, sagte sie und: »Vielen Dank. Für dein Verständnis.«
Dann huschte sie in ihren Laden und ließ mich frierend und verdutzt draußen stehen. Sie dankte mir für mein Verständnis, ausgerechnet in einem Moment, wo ich mich unendlich weit von ihr entfernt fühlte und von allen anderen Menschen auch.
Auf dem ganzen Rückweg zur Burg kreisten Fäustels Gedanken um die aufregenden Düfte, die er an ihr wahrgenommen hatte, und daran, wie sie ihn genau an der Stelle vor den Ohren kraulte, die er nicht richtig erreichen konnte, und ah, wie waren doch die Plätzchen in der warmen Teestube so süß.
Es wurde Nachmittag, bis wir wieder in der Burg eintrafen. Ich erledigte einige Arbeiten, dann stiegen Fäustel und ich in Burrichs Kammer hinauf, legten uns hin und
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