Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher
bekundete sie plötzlich ein starkes Interesse am Stand der Verhandlungen und entwickelte sich zur Verblüffung ihres Gatten zu einer energischen Befürworterin der Steuer zum Ausbau der Flotte. Die Königin verlieh ihrem Missfallen über diesen Sinneswandel Ausdruck, indem sie Lady Dahlia demonstrativ von einer Weinprobe in ihren Gemächern ausschloss. Die ganze Sache war mir nicht geheuer, doch als ich Chade daraufhin ansprach, wurde ich schroff von ihm getadelt.
»Denk daran, du bist der Vasall des Königs. Man gibt dir einen Auftrag, und du führst ihn aus. Allein schon, dass du ihn gut ausführst, sollte dir genügen. Mehr brauchst du nicht zu wissen. Listenreich ist derjenige, der die Schachzüge plant und die Strategie festlegt. Du und ich, wir mögen die Bauern sein, die er hin und her schiebt, aber wir sind wichtige Bauern, sei dir dessen sicher.«
Doch schon bei einer früheren Gelegenheit hatte Chade festgestellt, wo die Grenzen meines Gehorsams lagen. Um das Pferd zum Lahmen zu bringen, hatte er vorgeschlagen, das Strahlbein des Hufes zu beschneiden. Nicht im Traum dachte ich daran, dem Pferd das anzutun. Als jemand, der mit Pferden aufgewachsen war, belehrte ich ihn stattdessen über die vielen anderen Mittel, ein Pferd lahmgehen zu lassen, ohne ihm wirklich Schaden zuzufügen, und er solle es getrost mir überlassen, das geeignete Mittel auszuwählen. Bis heute weiß ich nicht, was Chade sich zu meiner Weigerung gedacht hat. Weder verbat er sich dies, noch äußerte er Zustimmung. Hierin, wie in vielen anderen Dingen, blieb er undurchsichtig.
Ungefähr alle drei Monate ließ König Listenreich mich meist sehr früh am Morgen zu sich kommen. Ich stand vor ihm, während er einmal ein Bad nahm oder man ihm das Haar zu dem golddurchwirkten Zopf flocht, der allein dem Monarchen vorbehalten war, oder während ihm ein andermal sein Leibdiener ihm die Gewänder zurechtlegte. Das Ritual war immer das Gleiche. Er musterte mich von Kopf bis Fuß, begutachtete meinen Wuchs und mein Äußeres, als wäre ich ein Pferd, das er zu kaufen erwog. Anschließend stellte er mir ein, zwei Fragen über meine Fortschritte im Reiten und im Gebrauch der Waffen und hörte sich mit ernster Miene meine knappen Antworten an. Zuletzt
fragte er, beinahe formell: »Und bist du der Ansicht, dass ich meinen Vertrag mit dir erfülle?«
»Ja, das bin ich, Euer Majestät«, antwortete ich jedes Mal.
»Dann erfülle auch du deinen Teil«, lautete regelmäßig seine Erwiderung, und damit war ich entlassen. Keiner der Lakaien, die ihm aufwarteten oder mir die Tür öffneten, schienen je die geringste Notiz von mir oder den Worten des Königs zu nehmen.
Im Spätherbst des Jahres, kurz bevor sich der kalte Atem des Winters über uns legte, erhielt ich meinen schwierigsten Auftrag. Chade rief mich zu sich, kaum dass ich mein Nachtlicht gelöscht hatte. Kurz darauf saßen wir vor seinem Kamin, naschten Konfekt und tranken Glühwein. Er lobte meinen jüngsten Streich, der darin bestanden hatte, jedes Hemd an der Leine hinter dem Waschhaus von innen nach außen zu kehren. Es war ein kniffliges Unterfangen gewesen. Am schwersten fiel es mir, nicht loszuprusten und mein Versteck in einem Färberbottich zu verraten, als zwei jüngere Burschen aus der Wäscherei die angerichtete Bescherung zu einem Werk der Wassergeister erklärten und sich daraufhin weigerten, an diesem Tag weiterzuarbeiten. Wie gewöhnlich war Chade über alles unterrichtet, noch bevor ich ihm Bericht erstatten konnte. Von ihm erfuhr ich zu meiner Erleichterung, dass Meister Lew, der im Waschhaus das Zepter schwang, befohlen hatte, in jeder Ecke des Trockenplatzes und über jedem Brunnen Feinwurz aufzuhängen, um die Kobolde von der Arbeit des kommenden Tages fernzuhalten.
»Du hast eine Begabung für solche Geschäfte, Junge.« Chade saß in seinem Lehnstuhl vor dem Feuer, während ich neben ihm auf dem Boden den Rücken an sein Bein gelehnt hatte. Er lachte in sich hinein und strich mir über den Kopf, wie es Burrich vielleicht
bei einem jungen Wachtelhund getan hätte, der sich bei der Jagd bewährt hatte. »Ich glaube fast, es gibt nichts, was ich dir auftragen könnte, das du nicht zuwege bringst.« Dann beugte er sich vor und sagte leise: »Aber ich wüsste eine echte Herausforderung für dich.«
»Was denn?«, fragte ich begierig.
»Keine Kleinigkeit, selbst nicht für jemanden mit deinem Geschick«, warnte er mich.
»Stell mich auf die Probe!«
»Oh ja, in ein,
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