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Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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zwei Monaten vielleicht, wenn deine Ausbildung etwas weiter gediehen ist. Für heute Nacht habe ich dir noch ein Spiel beizubringen, eines, das dein Auge und dein Gedächtnis weiter schärft.« Er griff in einen Beutel und zog etwas heraus. Für einen kurzen Moment hielt er mir die geöffnete Hand vor die Augen: farbige Steine. Die Hand schloss sich. »Waren gelbe dabei?«
    »Ja. Chade, aber was ist das schon für eine Herausforderung?«
    »Wie viel?«
    »Zwei, die ich sehen konnte. Chade, lass es mich versuchen.«
    »Könnten es mehr als zwei gewesen sein?«
    »Möglich, falls einige unter den oberen Steinen verborgen waren. Ich glaube aber nicht. Chade, bitte.«
    Er öffnete seine knochige Altmännerhand und rührte mit dem Zeigefinger in den Steinen. »Du hattest Recht. Nur zwei gelbe. Noch ein Versuch?«
    »Chade, ich kann es.«
    »Das glaubst du, ja? Schau, ich zeige dir die Steine. Eins, zwei, drei und fort sind sie. Waren rote dabei?«
    »Ja. Chade, aber was ist das schon für eine Aufgabe?«

    »Waren es mehr rote als blaue? Mir etwas Persönliches von des Königs Nachttisch zu bringen.«
    »Was?«
    »Waren es mehr rote Steine als blaue?«
    »Nein, ich denke nicht, aber was soll ich wirklich tun?«
    »Falsch, Junge!« Chade öffnete triumphierend die Faust. »Sieh her: drei rote und drei blaue. Dein Auge muss schneller werden, wenn du dich meiner Herausforderung gewachsen zeigen willst.«
    »Und sieben grüne. Ich wusste das, Chade. Aber - du willst, dass ich den König bestehle?« Ich glaubte immer noch, mich verhört zu haben.
    »Nicht bestehlen, nur etwas von ihm ausleihen. Wie Mistress Hurtigs Schere. Es schadet doch niemandem, so ein kleiner Streich, oder findest du?«
    »Nein, außer dass man mich auspeitscht, wenn ich erwischt werde. Oder Schlimmeres.«
    »Und du hast Angst, dass man dich ertappt. Siehst du, ich habe dir gesagt, warten wir noch ein, zwei Monate, bis du sicherer geworden bist.«
    »Es ist nicht die Bestrafung. Nur, wenn man mich ertappt … der König und ich … wir haben eine Abmachung …« Meine Stimme schwand dahin, und ich sah ihn hilflos an. Der Unterricht durch Chade war Teil des Vertrags zwischen dem König und mir. Zu Anfang eines jeden Treffens, bevor er mit der Lektion begann, erinnerte er mich daran. Sowohl Chade als auch dem König hatte ich Treue geschworen. Er musste doch einsehen, dass ich wortbrüchig wurde, wenn ich gegen den König handelte.
    »Es ist ein Spiel, Junge«, erklärte Chade geduldig. »Nicht
mehr. Nur ein harmloser kleiner Streich, keinesfalls ein Verbrechen, wie du zu glauben scheinst. Der einzige Grund, weshalb ich auf diese Idee verfallen bin, ist, dass die Gemächer des Königs und sein Eigentum so außerordentlich streng bewacht werden. Jeder kann einer Schneiderin die Schere entführen, aber wir reden hier von einem wirklich waghalsigen Streich - unbemerkt in die Gemächer des Königs eindringen und etwas entwenden, das ihm gehört. Wenn du das bewerkstelligen könntest, würde ich glauben, dass die Mühe, die ich mir mit dir gegeben habe, nicht umsonst gewesen ist. Dass du zu würdigen verstehst, was ich dir beigebracht habe.«
    »Du weißt, dass ich zu würdigen verstehe, was du mir beigebracht hast«, warf ich schnell ein. Das war aber noch nicht alles. Chade hingegen schien überhaupt nicht zu begreifen, was ich meinte. »Ich käme mir vor wie ein Verräter. Als würde ich das, was ich bei dir gelernt habe, benutzen, um den König zu hintergehen. Als würde ich ihn verhöhnen.«
    »Aha!« Chade lehnte sich zurück, er lächelte. »Keine Sorge deswegen, Junge. König Listenreich weiß einen guten Spaß zu würdigen. Was immer du wegnimmst, werde ich selbst ihm wiederbringen - ein Beweis dafür, dass ich ein guter Lehrer gewesen bin und du ein guter Schüler. Nimm etwas Wertloses, wenn es dich beruhigt; du musst ihm nicht die Krone vom Kopf stehlen oder den Ring vom Finger! Nur seine Bürste oder ein Blatt Papier, das herumliegt, meinetwegen auch seinen Handschuh oder den Gürtel. Nichts Kostbares, lediglich ein Pfand.«
    Vielleicht hätte ich eine Weile darüber nachdenken sollen, aber ich wusste, dass es unnötig war. »Ich kann es nicht tun. Ich meine, ich will es nicht tun. König Listenreich werde ich nicht
bestehlen. Jeden anderen, du brauchst mir nur den Namen zu nennen. Weißt du noch, wie ich Edel den Brief weggenommen habe? Du wirst sehen, ich kann überall …«
    »Wie?« Das Wort klang gedehnt und ungläubig. »Vertraust du mir nicht?

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