Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher

Titel: Fitz der Weitseher 01 - Der Weitseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
Ich sage dir, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Die Rede ist von einer Geschicklichkeitsprüfung, nicht von Hochverrat. Und dieses Mal, falls du ertappt wirst, verspreche ich dir, einzugreifen und alles zu erklären. Man wird dich nicht bestrafen.«
    »Darum geht es nicht«, sagte ich verzweifelt. Ich spürte Chades wachsende Irritation über meine Weigerung und zerbrach mir den Kopf, wie ich ihm meinen Standpunkt erklären sollte. »Ich habe dem König Treue geschworen. Und was du verlangst …«
    »Ist keineswegs ein Treuebruch!«, unterbrach Chade mich. Seine Augen funkelten mich so zornig an, dass ich überrascht zurückwich. So hatte er mich noch nie angesehen. »Was redest du da, Junge? Willst du sagen, dass ich von dir verlange, deinen König zu verraten? Sei kein Narr. Diese Aufgabe ist weiter nichts als eine kleine Prüfung, meine Art, Listenreich zu zeigen, was du gelernt hast, und du kneifst. Und du versuchst, mit großen Worten deine Feigheit zu bemänteln. Junge, du enttäuschst mich. Ich dachte, du hättest mehr Rückgrat - sonst wäre ich auch nie bereit gewesen, dich in die Lehre zu nehmen.«
    »Chade!« Es war unfassbar. Ich fühlte, wie meine kleine Welt ins Wanken geriet, als er mit kalter Stimme weitersprach.
    »Am besten kriechst du zurück in dein Bett, Bürschchen. Denk darüber nach, wie du mich heute beleidigst hast. Auch nur anzudeuten, ich hätte die Absicht, unseren König zu hintergehen! Fort mit dir, du kleiner Jammerlappen. Und wenn ich dich
das nächste Mal rufe, sei bereit, mir zu gehorchen. Oder bleib, wo du bist. Und jetzt geh.«
    Nie hatte Chade bisher so zu mir gesprochen. Ich konnte mich nicht erinnern, dass er mir gegenüber auch nur einmal die Stimme erhoben hatte. Verständnislos starrte ich auf den knochigen, pockennarbigen Arm, der sich aus dem Ärmel seines Gewandes reckte, auf den langen Finger, der so verachtungsvoll auf die Tür und die Treppe wies. Als ich aufstand, fühlte ich mich todelend. Ich schwankte und musste mich nach den ersten paar Schritten an einem Stuhl festhalten. Doch ich ging aus dem Zimmer, wie er es verlangte, weil ich nicht wusste, was ich sonst noch tun sollte. Chade, der zum Mittelpunkt meiner Welt geworden war, der mir den Glauben an mich selbst gegeben hatte, beraubte mich des Wichtigsten in meinem Leben. Nicht allein seiner Anerkennung, sondern unserer gemeinsamen Zeit, meiner Hoffnung auf eine Zukunft. Wie betäubt stolperte ich die Treppe hinunter. Nie war sie mir so lang und so kalt vorgekommen. Unten fiel die Tür hinter mir zu, und ich stand in tiefer Dunkelheit. Ich tastete mich zu meinem Bett, aber die Decken wärmten mich nicht. Die ganze Nacht tat ich kein Auge zu, sondern wälzte mich schlaflos hin und her. Am meisten quälte mich, dass ich in mir nicht den geringsten Zweifel spürte. Zu tun, was Chade von mir verlangte, war für mich unmöglich, weshalb ich ihn verlieren würde. Ohne seine Unterweisung war ich für den König wertlos. Aber das war nicht der größte Schmerz. Der größte Schmerz war, Chade zu verlieren. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, wie ich meine Einsamkeit ertragen hatte. Auf meine frühere trostlose Existenz zurückgeworfen zu werden, mich wieder in die Tretmühle immer gleicher, alltäglicher Pflichten einzureihen, das erschien mir unvorstellbar.

    Verzweifelt suchte ich nach einem Ausweg, doch es gab keinen. Ich konnte zum König gehen und ihm von meinem Dilemma berichten. Doch was würde er sagen? Dass ich ein alberner kleiner Junge war? Dass ich Chade hätte gehorchen sollen? Oder - schlimmer noch - würde der König mir Recht geben und Chade meinetwegen in Ungnade fallen? Quälende Fragen für den Verstand eines Jungen, zumal ich keine Antworten fand, die mich erleichtert hätten.
    Als endlich der Morgen graute, kroch ich aus dem Bett und meldete mich bei Burrich. Die gleichgültige Lustlosigkeit, mit der ich meiner Arbeit nachging, trug mir zuerst einen Rüffel und dann die Frage nach meinem Befinden ein. Ich redete mich damit heraus, dass ich nicht gut geschlafen hätte, und ersparte mir so das angedrohte Stärkungsmittel. Bei den Waffenübungen lief es für mich nicht besser. Meine Geistesabwesenheit ging so weit, dass ich mir von einem erheblich jüngeren Burschen einen gehörigen Schlag auf den Kopf einhandelte. Hod maßregelte uns beide wegen Rücksichtslosigkeit und sagte mir, ich solle mich eine Weile hinsetzen. Mit schmerzendem Schädel und weichen Knien kehrte ich mittags in den Palas

Weitere Kostenlose Bücher