Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
dich da rauf einlassen willst. Ich fürchte, es liegt einzig und allein bei dir, FitzChivalric. Kannst du bis zum Früh ling lernen, sowohl deine Gabe als auch deine Klinge verlässlich zu beherrschen?«
»Ich kann nichts versprechen, Hoheit, aber ich werde mich nach Kräften bemühen.«
»Gut.« Ve ritas sah mich lange und eindringlich an. »Bist du bereit, schon heute damit anzufangen?«
»Heute? Heute muss ich auf die Jagd. Dieser Pflicht kann ich mich nicht entziehen, auch nicht um der Vorbereitung auf ein neues Leben willen.«
»Beides schließt sich nicht unbedingt aus. Lass mich heute mit dir kommen.«
Ich sah ihn verwundert an, dann nickte ich. Statt aufzustehen, um warme Kleidung anzulegen und sein Schwert zu holen, umfasste er mein Handgelenk.
Als ich spürte, wie sein Wesen in mich einströmte, bestand meine erste instinktive Reaktion darin, mich gegen ihn zu sperren. Denn dies war nicht wie die anderen Male, als er meine Gedanken überflog, wie man beiläufig verstreute Schriftstücke auf einem Schreibtisch durchblättert. Diesmal war es die wahrhafte Inbesitznahme meines Verstandes. Seit Galen hatte sich niemand mehr auf diese Weise meiner bemächtigt. Ich versuchte, mich von ihm loszureißen, aber sein Griff war wie aus Eisen. Plötzlich ein Innehalten. Du musst mir vertrauen. Bist du dazu bereit? Ich schwitzte und zitterte am ganzen Leib wie ein Pferd, in dessen Verschlag sich eine Schlange befand.
Ich weiß nicht.
Denk darüber nach. Er zog sich ein wenig zurück.
Ich konnte ihn immer noch spüren, wie er auf meine Antwort wartete, doch ich wusste, er würde mich nicht belauschen. Meine Gedanken überschlugen sich. Zu vieles musste gegeneinander abgewogen werden. Es war eine Chance, einen Schlussstrich unter mein bisheriges Leben zu ziehen. All meine Geheimnisse vergessen zu machen und Molly das Vertrauen zu schen ken, das sie verdiente. Aber wie konnte ich Veritas erlauben, in mein Bewusstsein einzudringen, und gleichzeitig verhindern, dass er von dem Wolf und meiner Bruderschaft zu ihm erfuhr? Ich spürte zu Nachtauge hin. Unser Bund ist ein Geheimnis. Um es zu wah ren, muss ich heute allein jagen. Verstehst du das?
Nein. Es ist dumm und gefährlich. Ich werde da sein, aber du kannst dich darauf verlassen, dass ich unsichtbar bleibe und nicht zu entdecken bin.
»Was hast du gerade eben getan?«, fragte plötzlich Veritas mit lauter Stimme. Doch der Ton seiner Frage war keinesfalls heftig, eher so wie die Reaktion, mit der ich vielleicht ein kleines Kind getadelt hätte, das ich beim Herumschnitzen an einer Holzvertäfelung erwischte. Ich fühlte mich zu kei ner Antwort imstande. Wie gerne hätte ich mir alles von der Seele geredet, damit es einen gab, der mich kannte, der wusste, wer und was ich war.
Ich weiß es, meldete sich Nachtauge.
Er hatte Recht. Und ich durfte ihn nicht gefährden. »Auch Ihr müsst Vertrauen haben«, sagte ich zu meinem Kronprinz. Und als er zu mir aufsah und meine Forderung abwägte, fügte ich hinzu: »Seid Ihr dazu bereit?«
»Ja.«
Mit einem Wort lieferte er sich mir aus, auf Gedeih und Verderb; mit einem Wort bekundete er die feste Überzeugung, dass, was immer ich getan hatte, ihm nicht zum Schaden gereichen würde.
Auf den ersten Blick mag man nichts Besonderes darin sehen, aber dass ein Kronprinz seinem eigenen Assassinen gestattete, Geheimnisse vor ihm zu haben, war ein unerhörter Vertrauensbeweis. Vor Jahren hatte sein Vater sich meine Loyalität erkauft um den Preis des Versprechens, für mei ne Ernährung, meine Kleidung, meine Behausung und nicht zuletzt meine Erziehung zu sorgen, was sich mit einer silbernen Anstecknadel an meinem Hemd versinnbildlichte. Veritas’ spontane Geste bedeutete mir plötzlich mehr als all das zusammen. Die Liebe, die ich immer für ihn empfunden hatte, spülte alle Bedenken hinweg. Wie konnte ich kein Vertrauen zu ihm haben?
Er lächelte zurückhaltend. »Du verstehst dich darauf, von der Gabe Gebrauch zu machen, wenn du es willst.« Ohne eine weitere Vorankündigung drang er wieder in mein Bewusstsein ein. Solange seine Hand auf mei nem Arm lag, erfolgte die Vereinigung der Gedanken ganz mühelos. Ich fühlte seine Neugier und das leichte Erschrecken, als er durch meine Augen sein Gesicht betrachtete. Ein Spiegel ist gnädiger. Ich bin gealtert.
In Anbetracht der Umstände wäre es sinn los gewesen, widersprechen zu wollen. Es war ein notwendiges Opfer, stimmte ich zu.
Er ließ mich los. Einen Moment lang
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