Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
ganze Netzwerk der Leben, das er für mich kurz be rührt hatte - es war, als hätte er die Hand geöffnet und mir die unvergleichlich kostbaren Juwelen gezeigt, die er darin barg. Menschen. Sein Volk. Nicht für eine felsige Küste oder saftiges Weideland hielt er Wache. Es waren diese Menschen, diese schillernde Vielfalt anderer Existenzen, deren Leben er zwar nicht leben konnte, denen er jedoch höchste Wertschätzung entgegenbrachte. Einen Moment lang teilte ich seine Verwunderung, dass irgendjemand den Wunsch haben könnte, diesen Menschen Leid zuzufügen, und ich teilte auch seine grimmige Entschlossenheit, dass den Roten Korsaren kein einziges dieser Leben mehr zum Opfer fallen sollte.
Mein Schwindelgefühl verging und die Welt kam für mich wieder ins Gleichgewicht. Es war still. Veritas sprach, ohne mich anzusehen. »Nun? Geht es auf die Jagd?«
Ich nickte, selbst wenn er es nicht se hen konnte. »Ja. Die Entfremdeten sind näher, als wir vermuteten.«
»Rechnest du mit einem Kampf?«
»Ihr habt mir geraten, auf alles vorbereitet zu sein. Erst werde ich noch ei nen Versuch mit Gift ködern machen, aber möglicherweise sind sie längst nicht mehr so ausgehungert, dass sie wahllos alles herunterschlingen. Für den Fall dass sie versuchen, mich trotz allem anzugreifen, habe ich aber lieber noch mein Schwert an der Seite.«
»Das habe ich schon vermutet. Aber nimm lieber dieses.« Er hob vom Boden neben seinem Stuhl ein Schwert mit Scheide auf und legte es mir in die Hände. Im ersten Augenblick war ich sprachlos und konnte es nur anstarren. Das Leder war reich verziert, das Heft besaß jene seltene kunstvolle Schlichtheit hoher Handwerkskunst, wie sie nur die Hände und Werkzeuge eines wahren Meisters zustande bringen konnten. Dann gestattete mir Ve ritas mit einem Kopfnicken, in seiner Gegenwart die Klinge zu entblößen. Im Licht vom Fenster her glänzte sie hell, das Hämmern und Abkanten, das ihr Härte und Biegsamkeit gegeben hatte, manifestierte sich als schillerndes Lichtspiel auf dem blanken Metall der Klinge. Ich hielt die herrliche Waffe waagerecht am ausgestreckten Arm und fühlte ihre Schwe relosigkeit und Kampfbereitschaft in mei ner Hand - es war ein viel besseres Schwert, als meinen Fechtkünsten angemessen war. »Natürlich sollte ich es dir im Rahmen einer angemessenen Zeremonie überreichen, doch ich gebe es dir jetzt schon, um zu verhindern, dass du, nur weil es dir fehl te, von deiner Jagd nicht mehr zu rückkehrst. Beim Winterfest werde ich es von dir zurückverlangen, um diese Zeremonie nachzuholen.«
Ich stieß das Schwert in die Scheide zurück und zog es wieder heraus, so schnell und seidig wie ein kurzer schneller Atemzug. Nie zuvor hatte ich etwas derart meisterlich Gefertigtes besessen. »Mir ist, als müsste ich einen Eid darauf leisten«, meinte ich unsicher.
Veritas gestattete sich ein Lächeln. »Unzweifelhaft würde Edel größten Wert darauf legen. Was mich angeht, ich glaube nicht, dass mir ein Mann noch sein Schwert zu Fü ßen legen muss, nachdem er mir bereits Treue geschworen hat bis in den Tod.«
Bevor das schlechte Gewissen mir den Mund verschließen konnte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen. »Hoheit, mein Prinz, ich gehe heute hinaus, um Euch als Assassine zu dienen.«
Veritas war sicht lich betroffen. »Das sind kla re Worte«, meinte er vorsichtig.
»Es ist Zeit für klare Worte, denke ich. Heute diene ich Euch in dieser Eigenschaft, aber mein Herz ist dessen müde geworden. Wie Ihr sagt, ich habe Euch Treue geschworen, und wenn Ihr es befehlt, muss ich fort fahren wie bisher. Doch ich bitte Euch, findet eine andere Möglichkeit, wie ich Euch dienen kann.«
Veritas schwieg, wie es mir vorkam, eine Ewigkeit. Er stützte das Kinn auf die Faust und seufzte. »Wäre nur ich es, dem du Treue geschworen hast, könnte ich vielleicht unter Umständen schnell und einfach antworten. Aber ich bin nur der Kronprinz. Dieses Anliegen musst du deinem König vortragen. Wie auch deine Bitte, dich vermählen zu dürfen.«
Das einsetzende Schweigen zwischen uns war sehr tief und wie eine breite Kluft zwischen uns, die zu überbrücken ich nicht den Willen fand. Veritas ergriff schließlich das Wort. »Ich habe dir gezeigt, wie du verhindern kannst, dass dei ne Träume Kreise ziehen, FitzChivalric. Wenn du es ver säumst, dein Bewusstsein einzugrenzen, kannst du es niemandem übel nehmen, dass er die Geheimnisse kennt, die du selbst preisgegeben hast.«
Ich bezwang mich
Weitere Kostenlose Bücher