Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
überschnitten sich die Bilder, ich sah ihn, ich sah mich selbst, aber dann wandte er sich ab, richtete mit Bedacht seinen Blick wieder auf den Ho rizont und schloss mich aus dieser Wahrnehmung aus. Nach dem Wegfall der körperlichen Berührung war diese geistige Zweisamkeit schwieriger zu bewältigen. Mit vorsichtigen Schritten verließ ich das Zimmer und ging die Treppe hinunter, als balancierte ich ein übervolles Weinglas auf ei nem Tablett. Genau. Und in beiden Fällen ist es leichter, wenn man nicht hinschaut und nicht so krampfhaft daran denkt. Bleibe ganz locker.
Ich ging in die Küche hinunter, wo ich versuchte, mich zu benehmen
wie im mer, und ein herz haftes Frühstück zu mir nahm. Veritas hatte Recht. Es war leichter, unseren Kontakt aufrecht zu erhalten, wenn ich mich nicht darauf konzentrierte. Als gerade niemand herschaute, schüttete ich einen Teller voll Ingwerplätzchen in meinen Proviantbeutel.
»Gehst du auf die Jagd?«, erkundigte sich die Köchin. Ich nickte.
»Nun, dann pass auf dich auf. Worauf hast du es abgesehen?«
»Schwarzkittel«, improvisierte ich. »Nur um welche aufspüren, nicht um sie zu erlegen. Ich dachte, eine Eberjagd wäre eine schöne Abwechslung beim Winterfest.«
»Für wen? Prinz Ve ritas? Den lockst du nicht aus der Burg, Schätzchen. Ein Stubenhocker ist er geworden, ein Eremit, und auch unser armer König Listenreich hat seit Wochen nicht mehr seine Gemächer verlassen, um in der Halle seine Mahlzeit einzunehmen. Ich weiß nicht, warum ich immer noch seine Leibspeisen zubereite, wenn das Tab lett so unberührt wieder herunterkommt, wie ich es hi naufgeschickt habe. Nun, Prinz Edel, der würde sich vielleicht aufraffen, solange ihm nur nicht die Locken durcheinandergeraten.« Sämtliche Küchenmägde brachen in Gekicher aus, während mir das lose Mundwerk der Köchin das Blut ins Gesicht trieb. Ruhig. Sie wissen nicht, dass ich zugegen bin, Junge. Und nichts von dem, was sie zu dir sagen, soll ihnen von mir übel genommen werden. Verrate uns nicht. Ich spürte Veritas’ Erheiterung, aber auch seine Besorgnis. Deshalb gestattete ich mir ein Lächeln, dankte der Köchin für eine Pastete, die sie mir gut mütig aufdrängte, und verließ die Küche.
Rußflocke stampfte unruhig in ihrer Box. Sie konnte kaum erwarten, dass es hinausging. Als ich ihr den Sattel auflegte, kam Burrich vorbei. Seinen dunklen Augen entging weder meine winterliche Lederbekleidung noch die verzierte Schwertscheide und der schön gearbeitete Griff des Schwertes. Er räusperte sich, sagte
aber nichts. Es war mir nie klar geworden, wie genau Burrich über meine ›Arbeit‹ Bescheid wusste. Nur einmal, in den Bergen, hatte ich über meine Ausbildung in der Kunst des Mordens mit ihm gesprochen. Aber das war, bevor man ihm fast den Schädel zertrümmert hatte, weil er versucht hatte, mich zu beschützen. Als er sich davon erholt hatte, behauptete er, jede Erinnerung an den vorhergehenden Tag verloren zu haben. Doch manchmal kamen mir Zweifel. Vielleicht war es seine wohlüberlegte Art, ein Geheimnis als Geheimnis zu bewahren - dass selbst die Eingeweihten nicht darüber sprachen. »Sei vorsichtig«, meinte er schließlich bärbeißig. »Dass mir das alte Mädchen nicht zu Schaden kommt.«
»Wir passen auf«, versprach ich und führte Rußflocke an ihm vorbei nach draußen.
Immer noch war es erst frü her Morgen, gerade hell ge nug, um guten Gewissens einen leichten, kurzen Galopp wagen zu können. Ich gewährte Rußflocke genügend Spielraum, damit sie etwas von ihrer überschüssigen Kraft abarbeiten konnte und warm wurde, ohne jedoch ins Schwitzen zu geraten. Die Wolkendecke war stellenweise aufgerissen. Frostumhüllte Bäume und die verharschten Schneewehen reflektierten unter der blassen Wintersonne ihr gleißendes Licht. Rußflockes Atem dampfte, wobei sie nach einiger Zeit willig in einen wiegenden Passgang fiel. Wir würden uns dem Bachbett auf einem Umweg nähern, ich wollte die gebahnten Wege nicht früher verlassen als nötig.
Jede Sekunde spürte ich Veritas’ Anwesenheit, der stiller Teilhaber an mei nen inneren Zwiegesprächen war. Er ge noss die frische Morgenluft, Rußflockes Bewegungsfreudigkeit und die Jugend meines Körpers. Doch je weiter ich mich von der Burg entfernte, desto deutlicher wurde ich mir einer Veränderung bewusst. Von der anfänglich von ihm so starken und umfassenden Berührung
hatte sich unser Verhältnis gelockert und wirk te in sei ner Art wie ein
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