Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Ve ritas nicht?« Ich war verdutzt.
»Ich bin des Königs Narr. Veritas ist der Kronprinz. Soll er warten, bis er die Krone trägt. Ist er König, kann er über mich verfügen. Vorausgesetzt, er hat uns bis dahin nicht tatenlos in den Untergang geführt.«
»Ich dulde keine Kritik an Prinz Veritas«, sagte ich warnend.
»Nein? Dann musst du dieser Tage deine Ohren ja fest verschlossen halten.«
Ich ging zur Tür und legte die Hand auf die Klinke. »Wir müssen jetzt gehen. Ich habe schon zu viel Zeit verloren.« Mein Ton war bestimmt. Seine abfällige Rede über Veritas hatte mich so tief getroffen, als wären die Worte gegen mich gerichtet gewesen.
»Spiel nicht den Narren, Fitz. Das ist meine Rolle. Denk nach. Ein Mann kann nur ei nem Herren dienen. Was dein Mund auch sagen mag, Veritas ist dein König. Ich tadle dich nicht deswegen. Willst du mich tadeln, dass Listenreich der meine ist?«
»Ich tadle dich nicht. Und ich mache ihn auch nicht schlecht vor dir.«
»Dennoch kommst du nicht, um ihn zu besuchen, wie oft ich dich auch dränge, es zu tun.«
»Erst gestern war ich an sei ner Tür. Man hat mich abgewiesen. Mir wurde geagt, ihm sei nicht wohl.«
»Und würde man dich an Ve ritas’ Tür auf diese Weise abfertigen, würdest du es dir ebenso widerspruchslos gefallen lassen?«
Ich stutzte. »Nein, wahrscheinlich nicht.«
»Und weshalb wendest du dich dann so bereitwillig von ihm ab?« Der Narr sprach leise, bekümmert. »Wes halb ist Ve ritas nicht die Stütze seines Vaters, statt ihm seine Getreuen abspenstig zu machen?«
»Ich bin nicht abspenstig gemacht worden, vielmehr hat der König es nicht für notwendig erachtet, mich ru fen zu lassen oder mich zu empfangen. Was Veritas betrifft, nun, ich kann nicht für ihn sprechen. Doch jedermann weiß, dass Edel derjenige von seinen Söhnen ist, den Listenreich bevorzugt.«
»Jedermann weiß das? Dann weiß auch jedermann, worauf Edels Verlangen in Wahrheit gerichtet ist?«
»Manche schon«, antwortete ich kurz. Wir gerieten langsam auf gefährliches Terrain.
»Dann gebe ich dir hier einiges zum Nachdenken: Beide dienen wir dem König, den wir von Herzen lieben. Doch es gibt einen anderen, den wir beide von Herzen verabscheuen. Mir scheint, wir sollten keinerlei Mühe haben, am selben Strang zu ziehen, solange wir gegen ein- und denselben in gemeinsamer Abneigung verbunden sind. Gib zu, dass du kaum Zeit hattest, einen Blick auf die Schriftrollen zu werfen, und ich werde dich nebenbei daran erinnern, dass die Zeit, die du nicht gehabt hast, verlorene Zeit für uns alle ist. Diese Aufgabe kann nicht warten, bis du dich ihr zu widmen beliebst.«
Seine Argumente waren nicht von der Hand zu weisen. Er trat plötzlich dicht an mich he ran. Es war im mer schwer, ihm in die Augen zu sehen, und noch schwerer, darin zu lesen, aber die Linie seines Mundes verriet seine Verzweiflung. »Ich biete dir ein Geschäft an, einen Tauschhandel, der einzigartig ist. Ein nur mir bekanntes Geheimnis gegen die Erlaubnis, in den Schriften nach der Lösung eines Rätsels zu forschen, die möglicherweise nicht einmal darin zu finden ist.«
»Was ist das für ein Geheimnis?«, fragte ich widerwillig nach. »Mein Ge heimnis.« Halb zur Sei te gewendet starrte er auf einen Punkt an der Mauer. »Das Geheimnis des Narren. Woher kommt er und was führt ihn her?« Er streifte mich mit einem Seitenblick und wartete schweigend.
Die ungestillte Neugierde ungezählter Jahre erwachte schlagartig in mir. »Ein freiwilliges Geschenk?«, fragte ich.
»Nein. Nur im Tausch, wie schon gesagt.«
Ich überlegte. Dann: »Wir sehen uns später. Schließ die Tür, wenn du gehst.« Damit verließ ich ihn.
In den Fluren eilte bereits das Gesinde geschäftig hin und her.
Der Narr hatte mich sträflich lange aufgehalten. Trotz meiner steifen Knochen versuchte ich mich zu beeilen. So nahm ich auf den Treppen zu Veritas’ Turmgemach zwei Stufen auf einmal, klopfte an und trat ein.
Dort begrüßte mich Bur rich mit ei nem Stirnrunzeln. Die wenigen Möbel des Turmzimmers waren bis auf Ve ritas’ Lehnstuhl an eine Wand geschoben worden. Darauf hatte er bereits Platz genommen und wandte mir langsam den Kopf zu. Sein Blick ging durch mich hindurch - er war noch nicht aus der Ferne zurückgekehrt. Seine Züge, sein Mund wirkten schlaff, seine Augen abwesend - und dies war schmerzlich mit anzusehen, wenn man wusste, was es be deutete. Der Gabenhunger nagte an ihm, und ich fürchtete, was er mich
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