Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
mit angesehen habe.«
»Verzeih mir. Ich wollte nicht zu neugierig sein, aber die Ungewissheit ist auch schwer zu ertragen.«
»Ich weiß.« Ich strich über ihr Haar, und sie neigte den Kopf gegen meine Hand. »Vor einiger Zeit habe ich dir einmal erzählt,
ich hätte dich im Traum in Syltport gesehen. Auf dem ganzen langen Weg aus dem Berg reich zurück nach Bocksburg quälte mich die Angst, du könntest bei dem Überfall der Roten Korsaren ums Leben gekommen sein. Manchmal dachte ich, die Trüm mer des Hauses wären auf den Keller gestürzt, dann wieder, die Frau mit dem Schwert hätte dich getötet …«
Molly schaute mich an. »Als das Haus einstürzte, tat sich eine Wolke aus Funken und Qualm auf, wodurch sie geblendet wurde. Dann … dann erschlug ich sie mit der Axt.« Sie fröstelte. »Ich habe niemandem davon erzählt. Niemandem. Wie kannst du davon wissen?«
»Ich habe es geträumt.« Ich zitterte im mer noch. Ich nahm sie in die Arme und zog sie an mich. »Manch mal habe ich so etwas wie Eingebungen. Nicht sehr oft.«
Sie lehnte sich zu rück, während ihre Augen in mei nem Gesicht forschten. »Du würdest mich doch nicht belügen - oder doch?«
Die Frage tat weh, aber ich hatte es verdient. »Nein, es ist kei ne Lüge, das verspreche ich dir. Und ich verspreche dir, dass ich dich niemals anlügen …«
Sie legte mir den Zeigefinger auf die Lippen. »Ich habe die Hoffnung, dass wir unser ganzes künftiges Leben miteinander verbringen werden. Deshalb gib mir kein Versprechen, das du nicht bis ans Ende deiner Tage halten kannst.« Ihre andere Hand griff nach der Verschnürung an meinem Hemd. Nun begann ich zu zittern.
Ich küsste zuerst ihre Fin ger. Und dann ih ren Mund. Irgendwann stand Molly auf und ver riegelte die Tür. Ich weiß noch, wie ich ein flehentliches Gebet zum Himmel sandte, dies möge nicht die Nacht sein, in der Chade von seiner Reise zurückkehrte. Allem Anschein nach wurde ich erhört und war dann selbst ein Reisender in jener Nacht an einem Ort, der mir immer vertrauter wurde, ohne dass er darüber seinen Zauber verlieren konnte.
Als Molly dann später ging, weckte sie mich und bestand darauf, dass ich hinter ihr den Riegel wieder vorlegte. Ich wollte mich anziehen und sie zu ihrem Zimmer begleiten, aber sie lehnte gekränkt ab und meinte, sie wäre durchaus imstande, allein ein paar Stufen hinaufzugehen, und je we niger man uns zusammen sähe, desto besser. Widerstrebend unterwarf ich mich ih rer Logik. Unmittelbar darauf fiel ich in einen solch abgrundtiefen Schlaf, wie ihn mir kein noch so starker Baldriantee hätte schenken können.
Doch dann rissen mich Donner und Geschrei unsanft aus meinem seligen Schlummer. Ich taumelte benommen und verwirrt aus dem Bett. Und ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass jemand an mei ne Tür häm merte. Das Gebrüll stammte von Bur rich, der meinen Namen rief. »Einen Augenblick!«, brachte ich mit heiserer Stimme heraus. Alle Kno chen taten mir noch weh. Ich warf mir die nötigsten Kleidungsstücke über und kämpfte mit den Tücken von Schloss und Riegel, bis ich endlich die Tür aufmachen konnte. »Was ist los?«
Burrich starrte mich wortlos an. Er war gewaschen und angekleidet und trug zwei Äxte über dem angewinkelten Arm.
»Oh.«
»Auf zu Ve ritas’ Turmgemach! Beeilung, wir sind schon zu spät. Aber wasch dich erst. Was ist das für ein Geruch?«
»Duftkerzen«, erklärte ich geistesgegenwärtig. »Der Geruch soll erholsame Träume bringen.«
Burrich schnaubte. »Diese Düfte würden mir nicht unbedingt erholsame Träume bringen. Moschus, Junge. Dein ganzes Zimmer stinkt danach. Ich gehe schon vor. Wir treffen uns oben.«
Damit marschierte er zielstrebig den Gang hinunter, während ich mich ins Zimmer zurückwandte und mich an etwas erinnerte. Im Lauf der Jah re hatte ich vergessen, was Burrich unter ›frühmorgens‹ verstand. Ich wusch mich gründlich - aus Zeitmangel mit
kaltem Wasser - und kramte frische Kleider hervor. Gerade als ich dabei war mich anzuziehen, klopfte es wieder an der Tür. »Komme schon!«, rief ich, aber das Klopfen hörte nicht auf. Es mochte sein, dass Bur rich zornig war. Nun gut, ich war es auch. Er musste doch verstehen, dass der gestrige Tag nicht spurlos an mir vorübergegangen war. Ich riss die Tür auf, um ihm die Meinung zu sagen, als plötzlich der Narr wie Rauch ins Zimmer wehte. Er trug ein neues schwarz-weißes Gewand. Die Ärmel seines Hemdes waren mit schwarzen Mustern von
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