Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
lehren wollte, würde der Sucht zusätzlich Nahrung geben und sie verstärken. Und doch, war es zu ändern? Ich hatte gestern etwas gelernt, was nicht angenehm war, aber wich tig. Auch wenn ich nicht König war, nie König sein würde, ich trug mit an der Verantwortung für das Volk der Sechs Provinzen, und ich war gewillt, alles Menschenmögliche zu tun, um die Roten Korsaren von unserer Küste zu vertreiben. Ich konnte nachempfinden, was Veritas veranlasste, sich ohne Rücksicht auf die eigene Person zu verausgaben.
»Ich bitte um Vergebung, dass ich so spät kom me, ich wurde aufgehalten. Aber jetzt können wir anfangen.«
»Wie fühlst du dich?« Burrich stellte die Frage in einem Ton, als wäre er ernsthaft an einer genaueren Auskunft interessiert.
Der Blick, mit dem er mich musterte, war nach wie vor streng, aber auch forschend.
»Ein wenig steif. Beim Treppensteigen bin ich etwas warm geworden. Ich bin noch nicht ganz erholt von gestern, aber sonst geht es mir gut.«
Stille Genugtuung stahl sich auf sein vergnügtes Gesicht. »Kein
krampfartiges Zittern, FitzChivalric? Keine Sehstörungen oder Schwindelanfälle?«
Ich überlegte einen Moment. »Nein.«
»Verdammt!« Burrich lachte laut auf. »Eine ge hörige Tracht Prügel war also offenbar die richtige Medizin für dich. Ich werde daran denken, wenn du wieder einmal einen Medikus brauchst.«
Während der folgenden Stunde schien er entschlossen zu sein, die neue Heilmethode in der Praxis zu erproben. Die Axtklingen waren zwar stumpf, denn er hatte sie für diese erste Lektion mit Lumpen umwickelt, aber das schützte nicht vor blauen Flecken. Und um ehrlich zu sein - die meisten handelte ich mir durch mein eigenes Ungeschick ein. Burrich war an dem Tag keinesfalls darauf aus, Schläge anzubringen, sondern wollte mich leh ren, die ganze Waffe zum Einsatz zu bringen und nicht nur das Blatt. Ve ritas in meinem Bewusstsein zu halten, das be reitete keine Mühe, da er sich im selben Raum befand wie wir. Er übte sich in Schweigen, äußerte weder Ratschläge noch Kritik oder Warnungen, sondern begnügte sich mit sei ner Zuschauerrolle. Burrich erklärte mir, die Axt wäre keine elegante Waffe, aber beim richtigen Einsatz sehr brauchbar. Am Ende der Übungsstunde versäumte er nicht, mich darauf hinzuweisen, dass er aus Rücksicht auf meine Verletzungen sanft mit mir umgesprungen wäre. Als Veritas uns entließ, gingen wir zusammen die Treppe hinunter, und das um einiges langsamer, als ich sie hinaufgesprungen war.
»Morgen früh sei pünktlich.« Mit dieser Ermahnung Burrichs trennten wir uns vor der Küchentür; er kehrte zu den Stallungen zurück, mein knurrender Magen verlangte vor weiteren Taten erst einmal ein Frühstück. Mein Hunger war so groß wie seit Tagen nicht mehr und über meinen Wolfshunger wunderte ich mich selbst über mein plötzliches Wohlbefinden. Anders als Burrich glaubte ich jedoch nicht, dass ich über die Vorfälle der letzten
Zeit von den Nachwirkungen der schlimmen Verletzungen aus dem Bergreich kuriert war. Molly, dachte ich bei mir selbst, hatte mit einer einzigen Berührung geheilt, was Kräuter, Salben und Tinkturen nicht zu bessern vermochten. Plötzlich lag der helle Tag schier endlos vor mir und maß sich in Stunden, die sich zäh dahinschleppten, bis die Dämmerung und der gnädige Abend uns erlaubten, wieder zusammen zu sein.
Entschlossen verbannte ich Molly aus meinen Gedanken und nahm mir vor, mich tagsüber ganz meinen Pflichten zu widmen, von denen mir dann auch auf ei nen Schlag ein ganzes Dutzend in den Sinn kam. Ich hatte Phi lia vernachlässigt. Ich hatte Kettricken meine Unterstützung bei der Planung und Anlage ihres Gartens versprochen. Auch Bruder Nachtauge war ich eine Erklärung schuldig, nicht zuletzt König Listenreich meine Aufwartung. Ich versuchte, die einzelnen Punkte nach Wichtigkeit zu ordnen. Hartnäckig hielt sich Molly an der Spitze der Agenda.
Schweren Herzens setze ich sie an das Ende meiner Liste und entschied mich, mit König Listenreich einen ersten Schritt zu tun. So stellte ich mein Geschirr zusammen und trug es in die Küche zurück. Dort ging es hoch her. Einen Moment war ich erstaunt, bis mir der Grund für das bunte Treiben einfiel - der heutige Abend war der erste Abend des Winterfestes. Die alte und langgediente Köchin Sarah schaute vom Brotkneten auf und winkte mich zu sich. Ich trat an den Tisch und bewunderte, wie ich es schon als Kind getan hatte, ihre geschickten Finger, die
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