Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Weinreben bestickt, die sich wie Efeu über den Stoff schlängelten. Über dem schwarzen Kragen erschien sein Gesicht so bleich wie der Voll mond. Das Winterfest. Richtig! Heute war die erste Nacht des Winterfestes. Dieser Winter erschien mir bereits so lang wie fünf andere, aber mit dieser Nacht begann das Ende der dunklen Zeit.
»Was willst du?«, frag te ich kurz angebunden. Ich war nicht in der Stimmung für seine Späße.
Er schnupperte genießerisch. »Etwas von dem, was du gerade hattest, wäre angenehm«, meinte er und wich tänzelnd ein Stück zurück, als er bemerkte, wie mein Gesicht sich sofort verdüsterte. Keine andere Bemerkung wäre besser geeignet gewesen, mich wütend zu machen. Leichtfüßig hüpfte er auf mein zerwühltes Bett und dann auf der anderen Seite wieder hinunter, gerade als ich dazu ansetzte, ihn zu packen. »Aber nicht doch von dir«, verkündete er kokett und wedelte in mäd chenhafter Abwehr mit den Händen, bevor er sich wieder ein wenig zurückzog.
»Ich habe keine Zeit für dei nen Unfug«, sagte ich verärgert. »Veritas hat mich zu sich be fohlen, und ich kann den Kronprinzen nicht warten lassen.« Ich rollte vom Bett hi nunter und zog mei ne Kleider zurecht. »Hinaus aus meinem Zimmer.«
»Ah, dieser Ton. Es gab noch eine Zeit, als der Fitz einen Scherz besser zur würdigen verstand.« Mitten in einer schnellen Pirouette
verharrte er mir zugewandt auf den Ze henspitzen. »Bist du wirklich zornig auf mich?«, fragte er geradeheraus.
Seine Direktheit verblüffte mich. »Ich war es schließlich«, begann ich vorsichtig, weil ich nicht wusste, ob er nicht versuchte mich auszuhorchen, »den du an je nem Tag mit deinem Lied vor allen Leuten zum Narren gemacht hast.«
Er schüttelte den Kopf. »Maße dir kei nen Titel an. Nur ich war und bin der Narr. Besonders an je nem Tag, mit diesem Lied, vor all den Leuten.«
»Du hast mich an unserer Freundschaft zweifeln lassen.«
»Ah, gut. Dann zweifle nicht, dass andere an unserer Freundschaft zweifeln müssen, wenn wir nicht verzweifeln wollen.«
»Ich verstehe. Dann war es dei ne Absicht, die Leute glauben zu machen, wir hätten uns entzweit. Nun gut. Trotzdem muss ich gehen.«
»Dann lebe wohl. Viel Spaß beim Äxtekreuzen mit Burrich. Soll er dir seine Lektionen einbleuen.« Er legte zwei frische Scheite auf mein zusammengesunkenes Feuer im Kamin und ließ sich mit viel Brimborium davor nieder.
Ich verfolgte sein Getue mit wenig Begeisterung. »Auch wenn wir Freunde sind - ich mag es nicht, wenn sich jemand in meinem Zimmer aufhält, während ich fort bin.«
»Auch ich mag es nicht, wenn an dere in mein Zim mer eindringen, während ich fort bin«, revanchierte er sich bedeutungsvoll.
Ich errötete vor Verlegenheit. »Das ist lange her. Und ich entschuldige mich für mei ne Neugierde. Glaub mir, ich habe es nie wieder getan.«
»Glaub mir, auch ich werde es nie wieder tun nach diesem einen Mal. Und wenn du zu rückkommst, werde ich mich entschuldigen. Können wir uns darauf einigen?«
Mir brannte die Zeit unter den Nägeln. Burrich würde sich ärgern,
was nicht zu ändern war. Ich setzte mich auf den Rand des zerwühlten Bettes. Molly und ich hatten hier gelegen, wodurch es plötzlich zu einem intimen Ort wurde.
Wie beiläufig zog ich die Steppdecken über die Federbetten. »Weshalb willst du in meinem Zimmer bleiben? Bist du in Gefahr?«
»Wir alle, Firlefitz, wir alle sind in Gefahr. Ich möchte in Ruhe einige Stunden dieses Tages damit zubringen, nach ei nem Ausweg aus dieser Gefahr zu suchen. Oder wenigstens nach einem Weg, sie zu entschärfen.« Er deutete mit einem Schulterzucken auf die Schriftrollen.
»Veritas hat sie mir anvertraut«, wandte ich voller Unbehagen ein.
»Offenbar, weil er glaubt, du wärst ein Mann, auf dessen Urteil er vertrauen kann. Dann gebietet dir dein Urteilsvermögen vielleicht sicher auch, sie mir anzuvertrauen?«
Es ist eine Sache, einem Freund die eigenen Habseligkeiten zum Gebrauch zu überlassen. Anders sieht es aus, wenn es sich um Dinge handelt, die man von einem Dritten zur Aufbewahrung bekommen hat. Was mich selbst anging, zweifelte ich nicht an der Loyalität und Integrität des Narren. Doch: »Vielleicht wäre es besser, erst Veritas’ Erlaubnis einzuholen«, meinte ich.
»Je weniger Umgang zwischen mir und Veritas herrscht, desto besser für uns beide.«
Ganz entgegen der Gewohnheit des Narren, ließ diese Aussage an Deut lichkeit nichts zu wün schen übrig. »Du magst
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