Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
Seelen ich in das Vergessen des Todes geschickt hatte. Der Gedanke schuf eine unsichtbare Mauer zwischen mir und meinen zukünftigen Kampfgefährten.
Trotz der wütenden Winterstürme fuhren wir fast jeden Tag hinaus
aufs Meer. Wir trugen Scheingefechte aus, übten den Umgang mit den Enterhaken oder die Technik des Rammens. Wir lernten auch, einen Sprung so einzuschätzen, dass man statt im Wasser wirklich an Bord des anderen Schiffes landete. Unser Kapitän gab sich die größte Mühe zu erklären, welche Vorteile wir ausspielen konnten. Der Feind hatte eine lange Reise hinter sich, wochenlang unter kärglichen Bedingungen zusammengepfercht und an Bord der Schiffe den Un bilden der Witterung preisgegeben. Wir hingegen hatten den Heimathafen als Rückzugsgebiet, konnten jeden Tag frisch ausgeruht beginnen und wurden ständig gut verpflegt. Die räumlichen Beschränkungen und die be grenzte Menge Proviant, die mitgeführt werden konnte, bedingten überdies, dass bei unserem Gegner jeder Ruderer zugleich Kämpfer war, während wir es uns erlauben konnten, zusätzliche Bewaffnete an Bord zu haben, die mit Pfeil und Bogen die Schlacht eröffneten oder feindliche Schiffe enterten, ohne dass ein Mann von den Rudern abgezogen werden musste. Mehrfach sah ich den Maat bei diesen Worten den Kopf schütteln. Im Vertrauen teilte er seinen Freunden mit, dass es die ge rade die harten Entbehrungen einer Ausfahrt waren, die eine Mannschaft wild entschlossen und kämpferisch machten. Wie konnten verweichlichte, wohlgenährte Bauern hoffen, gegen von Wind und Wetter und den Ge fahren des Meeres gestählte Korsaren zu bestehen?
Alle zehn Tage hatte ich einen Tag für mich, und diese freie Zeit verbrachte ich in der Burg. Das war allerdings keine Erholung. Ich meldete mich bei König Listenreich, berichtete ihm von meinen Erfahrungen an Bord der Rurisk und freute mich an dem Interesse, das bei sol chen Gelegenheiten in sei nen Augen aufblitzte. Es schien ihm besser zu ge hen, doch er war bei weitem noch nicht der willensstarke König, an den ich mich aus meiner Kindheit und Jugend erinnerte. Philia und Lacey hatten ebenfalls Anspruch
auf einen Besuch, nicht zu vergessen Kettricken. Ein oder zwei Stunden für Nachtauge, ein verstohlener Besuch in Mollys Kammer und dann ein Abschied mit tausend Entschuldigungen, um wieder in meinem Zimmer zu sein, wenn Chade mich rief. Am nächsten Morgen dann in aller Frühe kurz bei Veritas vorsprechen, der mit einer Berührung unseren Gabenbund erneuerte. Nicht selten war es mir ge radezu eine Erleichterung, ins Mannschaftsquartier zurückzukehren, um den versäumten Schlaf nachzuholen.
Endlich, als der Winter langsam zu Ende ging, bot sich mir die ersehnte Gelegenheit, allein mit König Listenreich zu sprechen. Es war einer meiner freien Tage, und ich hatte ihn aufgesucht, um ihn über die Fortschritte unserer Ausbildung in Kenntnis zu setzen. Listenreich fühlte sich kräftiger als sonst und saß in seinem Lehnstuhl vor dem Ka min. Wallace verschönerte diesen Tag durch sei ne Abwesenheit. Statt sei ner machte sich eine junge Frau im Zimmer zu schaffen, und auch wenn sie noch so emsig Staub wischte und Kissen aufschüttelte, hätte ich wetten mögen, dass sie Edels Spitzel war. Wie stets war der Narr zugegen und machte sich ein Vergnügen daraus, sie zu necken. Ich war mit dem Narren aufgewachsen und betrachtete seine weiße Haut und die hellen Augen als völlig normal an ihm. Die Klei ne empfand es offenbar anders. Sie beäugte den Narren, wann immer sie glaubte, er merke es nicht. Doch sobald er es merkte, begann er frech ihre Blicke zu erwidern, und das mit einer unverhohlenen Lüsternheit, die er von Mal zu Mal zu stei gern wusste. Sie wurde immer fahriger, und als sie schließ lich mit ihrem Eimer an uns vorbeimusste und der Narr Rätzel auf seinem Zepter unter ihre Röcke spähen ließ, sprang sie kreischend zurück und überschüttete sich und den eben gewischten Fußboden mit schmutzigem Wasser. Listenreich wies zunächst den Narren zurecht, der daraufhin nach allen Regeln der Kunst untertänige Reue heuchelte, und schickte dann die
Magd hinaus, damit sie sich trockene Kleider anziehen konnte. Ich konnte kaum abwarten, bis sie das Zimmer verlassen hatte, und ergriff die Gelegenheit beim Schopf.
»Majestät, ich habe eine Bitte, die ich Euch vortragen möchte.«
Der Tonfall meiner Stimme schien sowohl den Narren als auch den König stutzig zu machen, denn sie schenkten mir beide ihre
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