Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
hingezogen hatte. Die verschiedenen Teile meines Lebens glichen Perlen, und ich war der Faden, der sie verband. Ich glaube, wenn ich mir die Zeit genommen hätte, um über die komplizierten Manöver
nachzudenken, die ich voll führte, damit die einzelnen Bereiche sich nicht verquickten, wäre ich verzweifelt. Aber damals war ich jung, und irgendwie fand ich Kraft und Zeit, alles zu tun und jedem gerecht zu werden.
Mein Tag be gann vor dem Morgengrauen mit dem Unterricht bei Veritas. Wenigstens zweimal in der Wo che musste ich mich Burrich und seiner Axt stellen, doch öfter waren Veritas und ich allein. Er arbeitete mit meinem Gabenpotential, aber nicht auf Galens Art. Da er spezielle Aufgaben für mich im Sinn hatte, erfolgte meine Ausbildung vor allem unter diesen Gesichtspunkten. Ich lernte, durch seine Augen zu sehen und ihn meine benutzen zu lassen. Ich übte mich darin, auf die behutsame Art zu reagieren, wie er meine Aufmerksamkeit lenkte, sowie einen ständigen gedanklichen Informationsfluss aufrecht zu erhalten, der ihn über alles unterrichtete, was rings um uns vorging. Dazu ge hörte, dass ich den Turm verließ und sein Selbst mit mir he rumtrug wie einen Falken auf der Faust, wäh rend ich mei nen sonstigen täglichen Pflichten nachging. Zuerst konnte ich die Verbindung nur wenige Stunden aufrecht erhalten, doch im Lauf der Zeit gewöhnte ich mich daran, über mehrere Tage mein Bewusstsein mit ihm zu teilen. Allerdings schwächte der Kontakt sich auf Dauer ab. Zwischen mir und Veritas herrschte also keine echte Gabenkommunikation, sondern nur ein durch Be rührung hergestellter Bund, der ständig erneuert werden musste. Den noch vermittelte es mir ein Gefühl der Befriedigung, wenigstens dazu fähig zu sein.
Außerdem leistete ich auch meinen Teil an der Arbeit im Garten der Königin. Ich half, Bän ke und Statuen und Kübel aufzustellen und dann hin und her zu schie ben, bis Kettricken endlich mit der Anordnung zufrieden war. Ge rade während dieser Stunden legte ich Wert darauf, dass Veritas bei mir war. Ich hoffte, es würde ihn nachdenklich machen, seine Königin zu se hen, wie andere
sie sahen, besonders wenn sie erfüllt war von der Begeisterung für ihr verschneites Gartenreich. Mit rosigen Wangen und goldenem Haar, vom Wind geküsst und voller Lebensfreude: So zeigte ich sie ihm. Er hörte mit an, wie sie unbefangen darüber plauderte, wie große Freude ihm dieser Garten hoffentlich bereiten werde. War das ein Ver rat an dem Vertrauen, das Kettricken mir schenkte? Wann im mer mich mein Gewissen packte, stellte ich mich taub. Auch zu mei nen Besuchen bei Phi lia und Lacey nahm ich Veritas mit.
Zudem bemühte ich mich, ihn am Leben seiner Untertanen teilhaben zu lassen. Seit er wieder begonnen hatte, von der Gabe Gebrauch zu machen, bot sich ihm kaum noch Gelegenheit, mit den einfachen Leuten zu verkehren, was ihm früher stets eine Freude gewesen war. Ich nahm ihn mit in die Küche, in die Wachstube, zu den Stallungen und hinunter zu einem Streifzug durch die Tavernen von Burgstadt. Er seinerseits lenkte meine Schritte zu den Bootsschuppen, wo ich zuschaute, wie letzte Hand an seine Schiffe gelegt wurde. Als sie später am Pier vertäut lagen, ging ich dorthin und unterhielt mich mit den Besatzungen, die sich mit den Gegebenheiten an Bord vertraut machten. Ich ließ ihn das Schimpfen der Männer mit anhören, die nicht damit einverstanden waren, dass man einige der Flüchtlinge von den Fernen Inseln in die Mannschaft aufgenommen hatte. Jeder konnte sehen, dass diese Outislander im Umgang mit schnellen Räubern erfahren waren und uns durch ihr Fachwissen halfen, den besten Nutzen aus den Möglichkeiten unserer Schiffe zu ziehen. Es war leider ebenso unübersehbar, dass viele unserer Landsleute den Fremden mit Abneigung und Misstrauen begegneten. Ich war mir nicht sicher, ob Veritas’ Entschluss, sich ihrer zu bedienen, klug gewesen war, doch verschwieg ich meine eigenen Zweifel und beschränkte mich darauf, ihm die schwelende Unzufriedenheit an Bord vor Augen zu führen.
Er begleitete mich auch, wenn ich Listenreich meine Aufwartung machte. Die Erfahrung lehrte mich, meine Besuche auf den späten Vor- oder frühen Nachmittag zu legen. Wallace versuchte mit entnervender Regelmäßigkeit, mir den Zutritt zu verwehren, und im mer waren außer mir noch andere Leute anwesend, Dienstmägde, die ich nicht kannte, oder ein Handwerker, der umständlich eine Tür ausbesserte. Ich hoffte ungeduldig auf
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