Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
ich schon vorher beobachtet hatte. Vielleicht war ich auch empfänglicher dafür, mein Wahrnehmungsvermögen geschärft durch die mentale Kommunikation mit Veritas. Vielleicht lag es daran, dass sämtliche Männer und Frauen an Bord sich einem gemeinsamen Ziel untergeordnet hatten, und für die meis ten war es Rache. Was auch immer, es verlieh uns eine Zusammengehörigkeit, wie ich sie noch nie in einer Gruppe von Menschen erlebt hatte. Vielleicht, dachte ich, war es ein Abglanz dessen, was es hieß, Teil eines Zirkels zu sein. Ich spürte einen Schmerz des Bedauerns und der verpassten Gelegenheiten.
Du bist mein Zirkel. Veritas war bei mir, und es klang wie ein Raunen, das er mir von hin ten zuflüsterte. Und von irgendwoher aus den fernen Hügeln drang leiser noch als ein Seufzen: Sind wir nicht Brüder?
Ich habe euch, dachte ich zu ihnen zurück. Dann nahm die Arbeit meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Riemen und Rücken hoben und senkten sich im Gleichtakt, trieben die Rurisk in den Nebel hinein. Unser Segel hing schlaff herab. Von einem Augenblick zum anderen befanden wir uns in ei ner ganz eigenen Welt. Das Rauschen
der Bugwelle, unsere gleichmäßigen Atemzüge, während wir die Ruderblätter durchs Wasser zogen. Einige der Soldaten unterhielten sich leise miteinander, wobei ihre Worte und Gedanken vom Nebel gedämpft wurden. Vorn am Bug stand Justin neben dem Kapitän und starrte in die Neblschwaden hinaus. Seine Stirn legte sich in Falten, die Augen waren in die Ferne gerichtet, aber ich wusste, er dachte zu Carrod an Bord der Constance. Nur zum Spaß griff auch ich mit den Gedanken hinaus, um zu prüfen, ob ich seine Gabenbotschaft spüren konnte.
Lass das sein!, warnte mich Veritas, und ich zuckte zurück, als hätte er mir auf die Finger geklopft. Ich will nicht, dass irgendjemand etwas von deiner Gabe ahnt.
Hinter dieser Warnung steckte mehr, als ich im Moment Zeit hatte zu ergründen. Als wäre das, was ich hatte tun wollen, so äußerst gefährlich gewesen. Ich fragte mich, was er fürchtete, aber dann konzentrierte ich mich auf den steten Rhythmus der Ruderbewegungen und ließ meinen Blick von dem monotonen Grau der Nebelwände gefangennehmen. Nirgends ein Anzeichen dafür, dass der Nebel anfing sich zu lichten. Etliche Male verlangte Justin eine Kursänderung, und der Kapitän gab dem Steuermann entsprechende Anweisungen. Soweit ich erkennen konnte, machte es kei nen Unterschied, bis auf den Verlauf der Strömung an den Ruderblättern. Im In neren dieser Waschküche gab es kei ne Orientierungspunkte.
Der ewig gleiche Bewegungsablauf, das Fehlen von irgendetwas, an dem das Auge sich festhalten konnte, versetzten mich in einen tranceähnlichen Zustand. Bis der Schrei des jungen Wachpostens mich urplötzlich in die Wirklichkeit zurückholte. »Zu den Waffen!«, rief er, und dann erstickte schon sprudelndes Blut seine helle Stimme. »Der Feind ist da!«
Ich sprang von meiner Ruderbank auf und schaute mich hektisch
nach allen Seiten um. Aber da war nach wie vor nur Nebel. Und mein schleifendes Ruder, das über die Wasseroberfläche hüpfte, während meine Kameraden mir böse Blicke zuwarfen, weil ich sie aus dem Rhythmus gebracht hatte. »Du, Fitz! Was ist in dich gefahren?«, fragte der Kapitän. Justin stand mit glatter Stirn neben ihm und war die personifizierte Selbstgefälligkeit.
»Ich … ich habe ei nen Krampf im Rü cken. Tut mir leid.« Ich bückte mich nach meinem Ruder.
»Kelpy, du löst ihn ab. Geh ein paar Schritte auf und ab und streck dich, Junge, dann setzt du dich wieder an deinen Platz«, befahl der Maat mit seinem breiten Akzent.
Gehorsam trat ich zur Seite, um Kelpy vorbeizulassen. Es tat gut, die Muskeln lockern zu können. Meine Schultern knackten, als ich sie vor- und zurückrollte. Andererseits schämte ich mich, eine Ruhepause zu haben und die anderen nicht. Ich rieb mir die Augen und schüttelte den Kopf, um den letzten Rest dieses merkwürdigen Alptraums loszuwerden. Was für ein Wachposten? Wo?
Die Geweihinsel. Der Signalturm. Sie sind unter dem Schutz des Nebels gekommen. Ich vermute, sie wollen die Wächter erschlagen, um dann die Türme zu zerstören. Eine kluge Strategie. Die Geweihinsel ist Teil unserer vordersten Verteidigungslinie. Mit dem äußeren Turm blicken wir über das Meer, mit dem in neren geben wir die Signale nach Bocksburg und nach Guthaven weiter. Veritas’ Gedanken, nüchtern wie die eines Feldherrn. Nach einer kurzen Pause: Der hirnlose Idiot ist
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