Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
so erpicht darauf, mit Carrod Verbindung aufzunehmen, dass er mich nicht wahrnimmt. Fitz - geh zum Kapitän. Sag ihm, die Geweihinsel. Wenn ihr in den Kanal gelangt, trägt euch die Strömung wie im Flug zu der Bucht, wo die Türme liegen. Die Korsaren sind bereits dort, aber sie müssen gegen die Strömung ankämpfen, wenn sie wieder aufs offene Meer hinauswollen. Wenn ihr keine Zeit verliert, könnt ihr sie noch am Ufer abfangen. Aber ihr müsst sofort handeln. SOFORT.
Befehle geben ist leichter, als sie auszuführen, dachte ich und setzte mich in Bewegung. »Herr?«, sprach ich den Kapitän an und wartete, bis er geruhte, mich zur Kenntnis zu nehmen, während der Maat mich finster anschaute, weil ich ihn übergangen hatte.
»Ja?«, fragte der Kapitän schließlich.
»Die Geweihinsel. Wenn wir jetzt da rauf zuhalten und die Strömung ausnutzen, bringt sie uns im Flug zu der Bucht, wo die Türme sind.«
»Das stimmt. Dann vermagst du ebenfalls die Strömungen zu lesen? Eine nützliche Fähigkeit. Ich dachte, ich wäre der Einzige an Bord, der eine Ahnung davon hat, wo wir uns befinden.«
»Nein, Herr.« Ich holte tief Atem. »Wir müssen Kurs auf die Geweihinsel nehmen. Sofort!«
Bei dem »Sofort« zogen sich seine Brauen zusammen.
»Was soll dieser Unfug!«, mischte Justin sich ungehalten ein.
»Versuchst du, mich als Dumm kopf hinzustellen? Du hast gespürt, dass wir uns dem Treff punkt nähern, nicht wahr? Wes halb willst du, dass ich versage? Damit du nicht mehr allein als Versager dastehst?«
Ich hätte ihm liebend gern den Hals umgedreht, aber ich musste Veritas’ Befehl durchsetzen. »Eine ge heime Weisung des Kronprinzen, Herr. Die ich zu diesem Zeitpunkt an Euch weitergeben sollte.« Meine Worte waren ausschließlich an den Kapitän gerichtet. Er entließ mich mit einem Kopfnicken. Ich kehrte zu meiner Bank zurück und nahm wieder meinen Platz am Ruder ein. Der Kapitän starrte unbewegt geradeaus in den Nebel.
»Jharck. Der Steuermann soll das Schiff umlenken und in die Strömung bringen. Tiefer hinein in den Kanal.«
Der Maat nickte steif, und innerhalb weniger Augenblicke hatten wir den Kurs geändert. Unser Segel schlug am Mast, und tatsächlich, wie Veritas gesagt hatte, von der Strömung unterstützt,
schienen wir Flügel zu be kommen. Im Nebel verliert man jedes Zeitgefühl. Ich weiß nicht, wie lange ich ruderte, doch bald flüsterte Nachtauge etwas von Rauch in der Luft, und gleichzeitig vernahmen wir das Geschrei von Kämpfenden, das hohl und gespenstisch durch die grauen Nebelschwaden tönte. Ich sah, wie Jharck, der Maat, mit dem Ka pitän einen Blick wechselte. »Legt euch in die Riemen!«, knurrte er plötzlich. »Ein Rotes Schiff greift unseren Wachturm an!«
Noch ein paar Ruderschläge, und der Brandgeruch war genauso deutlich wahrnehmbar wie der Kriegslärm. Eine plötzliche Kraft durchströmte mich, und den anderen schien es ebenso zu ergehen; links und rechts von mir harte Gesichter, Muskeln, die sich wölbten und spannten, während wir mit aller Kraft ruderten - selbst unser Schweiß hatte einen anderen Geruch. Ich fühlte die heiße Wut, die sich wie ein wildes Feuer ausbreitete. Es war etwas Animalisches, jenseits aller Vernunft, das uns mit Hass überflutete.
Wir peitschten die Rurisk vorwärts und hi nein ins seichte Wasser der Bucht. Sobald der Kiel über den Grund scharrte, sprangen wir hinaus und zogen sie ans Ufer hinauf, wie wir es geübt hatten. Der Nebel war ein trügerischer Verbündeter, der uns vor den Angreifern verbarg, so dass wir hoffen konnten, ihnen unbemerkt in den Rücken zu fallen. Doch der Nebel verbarg uns gleichzeitig die Einsicht auf die Ge ländeverhältnisse und den ge nauen Stand der Dinge. Wir griffen nach den Waffen und hasteten dorthin, wo wir die Türme vermuteten. Justin blieb an Bord und starte mit pathetischem Ernst in Richtung Bocksburg, als würde es dadurch leichter, Serene die Nachricht von den Ereignissen zu übermitteln.
Das Rote Schiff war auf den Strand gezogen, genau wie die Rurisk. Nicht weit davon lagen die zwei kleinen Boote, die als Fähren zum Festland dienten. Beide waren leckgeschlagen worden. Einige der Soldaten, alles unsere Landsleute, waren am Ufer gewesen,
als der Korsar aus dem Nebel aufgetaucht war. Wie es aussah, war den meisten von ihnen die Flucht nicht mehr ge lungen; wir liefen an zusammengekrümmten Körpern vorbei, die ihr Leben im blutdurstigen Sand ausgehaucht hatten. Unvermittelt ragte grau der Turm der
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