Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
erringen. Ende des Sommers lachte sie nicht nur
über seine Späße, wenn er kam, um sie und ihre Frauen zu unterhalten, sondern auf sein Betreiben war sie auch ein häufiger Besucher in des Königs Gemächern geworden. Als Kronprinzessin konnten ihr Wallaces Launen gleichgültig sein. Sie übernahm es, für den König stärkende Tränke zuzubereiten, und eine Zeitlang schienen ihre Pflege und Gesellschaft ihn mit neuer Lebenskraft zu erfüllen. Der Narr muss entschlossen gewesen sein, durch sie zu erreichen, wozu er Veritas und mich nicht hatte bewegen können.
Es war ein winterlicher Herbstabend, als sie mich zum ersten Mal darauf ansprach. Ich half dabei, in ihrem Garten Strohbüschel um die empfindlicheren Pflanzen zu binden, damit sie besser vor Eis und Schnee geschützt waren. Philia hatte gesagt, das müsse getan werden, und sie und Lacey waren hinter mir damit beschäftigt, ein Beet zum Schutz gegen den Wind abzudecken. Sie war Kettrickens ständige Beraterin für alles Grünende und Blü hende geworden, ohne jedoch ihr scheues Wesen abgelegt zu haben. Rosemarie stand neben mir und reichte uns den Bind faden zu. Zwei von Kettrickens Hofdamen waren - warm eingepackt - geblieben, doch sie standen am anderen Ende des Gartens und unterhielten sich die ganze Zeit leise miteinander. Die Üb rigen hatte Kettricken nach unten ins Warme geschickt, weil der Anblick der verfrorenen Gestalten ihr Mit leid erregte. Auch mei ne Hände waren steif vor Kälte und meine Ohrmuscheln taub, Kettricken hingegen schien sich wohl zu fühlen, wie übrigens auch Veritas, der oft irgendwo in mei nem Kopf prä sent war. Seit er wuss te, dass ich erneut den Befehl hatte, Entfremdete auszumerzen, bestand er darauf, bei meinen Aufträgen dabei zu sein. Ich bemerkte seine Anwesenheit im Hintergrund meines Bewusstseins kaum noch. Doch als Kettricken, während sie einen Bindfaden um eine Pflanze band, die ich zu sammenhielt, mich fragte, was ich über die Uralten wusste, spürte ich deutlich seine Aufmerksamkeit.
»Nicht eben viel, Hoheit«, antwortete ich wahrheitsgemäß und nahm mir wieder einmal vor, mich endlich mit den lange vernachlässigten Dokumenten und Schriftrollen zu befassen.
»Weshalb nicht?«, wollte sie wissen.
»Nun, es gibt wenig an schriftlichen Zeugnissen von ihnen. Ich glaube, zu ihrer Zeit wusste man allgemein so gut über sie Bescheid, dass Aufzeichnungen un nötig waren. Und das Wenige, das über sie geschrieben wurde, ist überall verstreut und nirgendwo in einer Abhandlung zusammengefasst. Man bräuchte einen Gelehrten, um den kärglichen Spuren nachzugehen …«
»Einen Gelehrten wie den Narren zum Beispiel?«, fragte sie spitz. »Er scheint mehr über sie zu wissen als jeder andere, mit dem ich gesprochen habe.«
»Nun, er liest sehr gerne, wie Ihr wisst, und …«
»Genug von ihm. Ich möchte mit dir über die Uralten sprechen«, schnitt sie mir das Wort ab.
Ich stutzte bei ihrem Ton, doch als ich sie ansah, schaute sie wieder ein mal mit trau rigen Augen über das Meer. Sie hatte mich weder zurechtweisen noch unhöflich sein wollen, sie war lediglich vollkommen auf ihr Vorhaben konzentriert.
In den Monaten meiner Abwesenheit war sie selbstsicherer geworden. Königlicher.
»Einiges weiß ich schon«, sagte ich zögernd.
»Ich ebenfalls. Prüfen wir, ob unser Wissen sich ergänzt. Ich werde anfangen.«
»Wie Ihr wünscht.«
Sie räusperte sich. »Vor langer Zeit wurde König Weise von Seeräubern bedrängt, die seine Küsten verwüsteten. Was er auch tat, er konnte sich ihrer nicht erwehren, und als er fürchten musste, dass der nächste Sommer den Untergang der Sechs Provinzen und des Geschlechts der Weitseher brächte, beschloss er, den Winter
zu nutzen, um auf die Suche nach einem sagenhaften Volk zu gehen, nämlich den Uralten. Stimmen wir soweit überein?«
»Größtenteils. Wie ich gehört habe, bezeichnen die alten Legenden sie nicht als ein Volk, son dern als gottähnliche Wesen. Und in den Sechs Provinzen hat König Weise immer als eine Art religiöser Fanatiker gegolten, fast sogar als ein Besessener, was solche Dinge anging.«
»Männer mit Enthusiasmus und visionärer Kraft werden oft als Besessene oder Wahnsinnige angesehen«, sagte sie ruhig. »Ich werde fortfahren. In einem Herbst verließ er seine Burg allein mit dem Wissen, dass die Uralten in der Regenwildnis hinter den höchsten Gipfeln des Berg reichs wohnen sollten. Irgendwie gelang es ihm, sie zu finden und sich ih rer Hilfe
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