Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
gerne.«
Wir verließen die Dachterrasse, und ich folgte ihr zu ihren Gemächern,
wo ich allerdings länger als nur ei nen Moment warten musste. Als sie herauskam, wurde sie von der kleinen Rosemarie begleitet, die darauf bestand, ihr die Schriftrollen zu tragen. Kettricken hatte sich die Erde von den Händen gewaschen, die Kleider gewechselt und Parfum aufgetragen. Außerdem hatte sie ihr Haar frisiert und den Schmuck angelegt, den Veritas ihr seinerzeit als Morgengabe hatte überreichen lassen. Sie lächelte unsicher, als ich sie anschaute. »Hoheit, mir fehlen die Worte«, sagte ich.
»Du bist ein ebenso unverfrorener Schmeichler wie Edel«, rief sie aus und ging schnell vor mir den Flur hinunter, doch ich hatte noch gesehen, wie eine warme Röte in ihre Wangen stieg.
So viel Aufwand, nur um mich aufzusuchen und mit mir zu sprechen?
So viel Aufwand, um - Euch zu gefallen. Wie konnte ein Mann, der so beschlagen da rin war, andere Män ner zu verstehen, so wenig Ahnung von Frauen haben.
Vielleicht hat er nie sonderlich viel Zeit gehabt, etwas über sie zu lernen.
Ich schob einen Riegel vor meine Gedanken und beeilte mich, die Königin einzuholen. Als wir vor Veritas’ Arbeitszimmer anlangten, kam gerade Charim heraus, der mit einem Armvoll Schmutzwäsche beladen war. Ich wunderte mich da rüber, bis wir ein gelassen wurden und mir dann sofort ein Licht aufging. Veritas trug ein hellblaues Hemd aus weichem Leinenstoff, und in der Luft hing der Duft von Lavendel und Zeder, wie er aus Kleidertruhen aufstieg. Seine Haare und der Bart waren eben erst gekämmt worden, und ich wusste dabei genau, dass es auf sei nem Haupt und um sein Kinn nie län ger als ein paar Mi nuten derart gesittet zuging. Als Kettricken voller Befangenheit näher trat, um ihren Gemahl mit einem Knicks zu begrüßen, sah ich Veritas zum ersten Mal seit Monaten mit offenen Augen an. Der Sommer im Dienst der
Gabe hatte wie schon im letzten Jahr sei ne Spuren an ihm hinterlassen. Das feine Hemd bauschte sich um seine Schultern, und in sein Haar mischte sich nun ebenso viel Grau wie Schwarz. Es gab auch Falten in seinem Gesicht, um Augen und Mund, die mir früher nicht aufgefallen waren.
Sehe ich wirklich so armselig aus?
Nicht für sie.
Als Veritas ihre Hand nahm und sie ne ben sich auf eine Bank nahe beim Feuer zog, sah sie ihn mit ei ner Begierde an, die nicht weniger groß war als sein Verlangen nach der Gabe. Ihr Blick ließ ihn nicht los, und ich wandte mich ab. Vielleicht hatte Veritas Recht mit seiner Ansicht, dass mit der Gabe eine ganz besondere Gefühlsempfindlichkeit einherging. So drangen Kettrickens Gefühle so ungemildert auf mich ein wie der Blut rausch meiner Rudergefährten in der Schlacht.
Ich spürte das plötzliche Erstaunen von Veritas, wonach er sogleich begriff. Schirme dich ab, befahl er, und plötzlich war ich allein in meinem Kopf. Im ersten Moment fühlte ich mich ganz benommen. Er hatte wirklich keine Ahnung, fuhr es mir durch den Kopf, und ich war froh, für diesen Gedanken keinen Zeugen zu haben.
»Mein Gemahl, ich bin gekommen, um ein oder zwei Minuten Eurer Zeit zu erbitten für ei nen … Einfall, den ich mit Euch besprechen möchte.« Kettrickens Augen suchten in seinem Gesicht.
»Gewiss.« Veritas schaute zu mir auf. »FitzChivalric, willst du dich zu uns gesellen?«
»Wenn es Euer Wunsch ist.« Ich setz te mich ih nen gegenüber auf einen Stuhl. Rosemarie stellte sich neben ihre Her rin, um ihr die Schriftrollen zu überreichen. Vermutlich hatte sie diese von dem Narren aus meinem Zimmer stibitzt, dachte ich, doch wurde ich zu meiner Beschämung eines Besseren belehrt, als Kettricken die Pergamente während ihrer Ausführungen eines nach dem anderen
entrollte, um ihre Gedankengänge zu belegen. Ohne Ausnahme waren es Texte, die sich nicht mit den Uralten, sondern mit dem Bergreich befassten. »König Weise, wie Ihr wisst, war der erste Fürst aus den Sechs Provinzen, der nicht als Eroberer in unser Land kam. Aus diesem Grund wird er in unserer Geschichtsschreibung freundlich erwähnt. Diese Abschrift eines Originals der ursprünglichen Aufzeichnungen aus sei ner Zeit be fassen sich mit seinen Unternehmungen und Reisen im Bergreich - und damit, wenn auch indirekt, gleichzeitig mit den Uralten.« Sie entrollte das letzte Dokument. Veritas und ich beugten uns erstaunt vor: eine Landkarte. Sie war verblasst, wahrscheinlich laienhaft kopiert, aber es war eindeutig eine Landkarte des Bergreichs, mit allen
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