Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
freudlos diese Gedanken auch waren, vermochten sie dennoch nicht, die Dringlichkeit von Veritas’ Gabenbefehl zu verdrängen. Komm zu mir! War es seine Absicht gewesen, mir diese Worte wie mit einem Brandeisen einzuprägen? Ich bezweifelte es. Er hatte wohl lediglich verhindern wollen, dass ich sowohl Edel als auch mich selbst umbrachte. Wie auch immer: Der Stachel saß tief in meinem Fleisch. Selbst in meinen Träumen setzte ich den Weg zu Veritas weiter fort. Mein Vorhaben, Edel zu töten, hatte ich aber längst noch nicht aufgegeben. Täglich schmiedete ich mindestens ein Dutzend Pläne, einer raffinierter als der andere, irgendwann nach Fierant zurückzukehren und ihn genau dann zu treffen, wenn er am wenigsten mit einer Gefahr rechnete. Doch all diese Gedankenspiele begannen mit der Einschränkung »nachdem ich bei Veritas gewesen bin«. Es gab für mich einfach nichts Wichtigeres mehr als das.
Mehrere hungrige Tagesmärsche flussaufwärts liegt eine Ort namens Lände. Obwohl nicht annähernd so groß wie Fierant, ist es eine aufstrebende Stadt und berühmt für ihre Lederverarbeitung. Als Rohstoff dazu dienen nicht allein Rinder, sondern auch Haragar. Der andere bedeutende Wirtschaftszweig ist die Keramikherstellung, die den weißen Ton verarbeitet, den man weithin am Flussufer findet. Viele Gegenstände des täglichen Lebens, die anderswo aus Holz, Glas oder Metall gefertigt werden, macht man in Lände aus Leder oder Ton. Nicht nur Schuhwerk und Handschuhe, sondern auch Hüte und andere Kleidungsstücke sind dort aus Leder, wie auch Stuhlsitze und sogar die Planen der Marktstände. In den Schaufenstern sah ich Tranchierbretter und Kerzenhalter und sogar Eimer aus feinglasiertem Steinzeug, die auf hunderterlei Art verziert und gefärbt waren.
Nach einigem Suchen fand ich einen kleinen Basar, wo man Dinge verkaufen konnte, ohne dass dabei überflüssige Fragen gestellt wurden. Ich tauschte meine vornehme Kleidung gegen die weite Hose und den Kittel eines Arbeiters ein und zusätzlich ein Paar Strümpfe. Ein schlechter Handel, aber der Trödler wies auf mehrere Flecken an meinem Hemdsärmel hin, die sich wahrscheinlich nicht entfernen lassen würden, und auch die Hose hatte gelitten. Er konnte die Teile waschen, aber... Ich gab auf und lenkte ein. Wenigstens entsprach meine neue Tracht nicht mehr der Beschreibung eines aus König Edels Schloss geflohenen Mörders.
In einem Gewölbe weiter unten an derselben Straße trennte ich mich für sieben Silberkurante und sieben Kupfergroschen von dem Ring, dem Medaillon und der Kette. Der Betrag reichte bei weitem nicht aus, um mich einem Treck in die Berge anschließen zu können, doch es war das beste von den sechs Angeboten, die man mir gemacht hatte. Die mollige kleine Frau, mit der ich handelseins geworden war, zupfte mich noch kurz schüchtern am Ärmel, als ich gehen wollte.
»Ich würde nicht fragen, Herr, nur sehe ich, dass Ihr Euch in einer misslichen Lage befindet«, begann sie zaghaft. »Deshalb nehmt mir bitte das Angebot nicht übel, das ich Euch machen möchte.«
»Welches wäre?« Ich vermutete, dass sie das Schwert kaufen wollte, aber ich hatte bereits beschlossen, mich nicht davon zu trennen. Was ich auch immer dafür einlösen konnte, es war mir nicht wert, dafür unbewaffnet weiterzuziehen.
Sie deutete auf mein Ohr. »Euer Freiheitsring, das Zeichen des freigelassenen Sklaven. Ich habe einen Kunden, der solche Kuriositäten sammelt. Wenn mich nicht alles täuscht, stammt der Eure vom Butran-Clan. Habe ich Recht?« Sie stellte die Frage in einem so zögernden Ton, als erwartete sie gleich einen Wutausbruch von meiner Seite.
»Ich weiß es nicht«, gestand ich wahrheitsgetreu. »Es war ein Geschenk von einem Freund, und ich würde mich auch für viel Silber nicht davon trennen.«
Sie lächelte wissend, nun wieder Herrin der Lage. »Oh, ich weiß, wir sprechen dabei natürlich über einen Betrag in Gold. Ich würde Euch doch nicht mit einem Angebot von Silberstücken beleidigen.«
»Gold?«, fragte ich ungläubig und befühlte das kleine Anhängsel an meinem Ohr. »Dafür?«
»Selbstverständlich.« Sie glaubte wohl, ich wollte ihr ein Gebot entlocken. »Ich kann sehen, dass es sich um eine exquisite Arbeit handelt. Das entspricht der Reputation des Butran-Clans. Dazu handelt es sich um eine ausgesprochene Rarität, denn die Butran geben nur selten einen Sklaven frei. Selbst hier, weit von Chalced entfernt, ist diese Tatsache bekannt. Trägt ein
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