Fitz der Weitseher 03 - Der Nachtmagier
auf den rechten Weg zu bringen. Der Himmel war blau, doch es blieb kühl; ein böiger Wind hüllte uns in eine Staubwolke. Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, und bald schmerzte auch mein Kopf, als wolle er zerspringen.
Gegen Mittag befahl Madge eine kurze Rast. Die meisten der Nachtschwärmer hatten sich inzwischen so weit erholt, dass sie Hunger bekamen. Ich holte mir an den Wasserfässern auf Madges Wagen etwas frisches Wasser; dann machte ich mein Kopftuch nass und wischte mir den gröbsten Staub vom Gesicht. Als Merle herankam, trat ich zur Seite, um ihr Platz zu machen, damit sie trinken konnte, doch statt die Schöpfkelle einzutauchen, sprach sie mich mit ruhiger Stimme an.
»An deiner Stelle würde ich das Tuch nicht abnehmen.«
Ich wrang es aus und band es wieder um. »Das war auch nicht meine Absicht. Leider hilft es nicht gegen den Staub, der mir in die Augen fliegt.«
Merle schaute mich an. »Es sind nicht deine Augen, um die du dir Sorgen machen solltest. Die weiße Strähne in deinem Haar - ich gebe dir den guten Rat, sie bei nächster Gelegenheit mit Fett und Asche schwarz zu färben, damit sie nicht mehr so auffällt.«
Ich blickte sie fragend an und hoffte, dass mir mein Schreck nicht anzusehen war.
Sie lächelte herablassend. »König Edels Soldaten waren nur wenige Tage vor uns an dem Ort am Quellsee. Sie erzählten den Leuten, der König glaube, der Narbenmann sei auf dem Weg durch Farrow. Und du mit ihm.« Sie schwieg und wartete darauf, dass ich etwas sagte. Als ich sie weiter nur anschaute, wurde ihr Lächeln noch breiter. »Oder vielleicht ist damit auch ein anderer Bursche gemeint - mit einer gebrochenen Nase, einer Narbe an der Wange, einer weißen Strähne im Haar und...« sie zeigte auf meinen Arm, »... mit einer frischen Wunde von einem Schwertstreich am Unterarm.«
Ich fand die Sprache wieder und besaß so viel Geistesgegenwart, dass ich den Hemdsärmel hochstreifte und ihr meinen Arm hinstreckte. »Meinst du das? Das ist bloß ein Kratzer von einem vorstehenden Nagel an einer Schänkentür. Beim Hinausgehen habe ich mich daran gerissen. Sieh’s dir an, aber die Schramme ist schon fast verheilt.«
Sie tat mir den Gefallen, beugte sich vor und betrachtete meinen Arm. »Ach ja, sehr schön. Nun, da scheine ich mich dann ja wohl geirrt zu haben. Trotzdem«, und sie schaute mir dabei fest in die Augen, »würde ich das Kopftuch aufbehalten. Zur Sicherheit. Damit nicht noch jemandem der gleiche Irrtum unterläuft.« Sie legte eine Pause ein; dann neigte sie den Kopf in meine Richtung. »Ich bin eine fahrende Musikantin, wie du weißt. Ich bin lieber Augenzeugin der Geschichte, statt sie selbst zu machen oder ihren Lauf zu beeinflussen. Doch ich bezweifle, dass all unsere Reisegefährten ebenso empfinden.«
Stumm schaute ich ihr nach, als sie sich pfeifend entfernte. Ich trank noch einmal und kehrte zu meinen Schafen zurück.
Creece schien sich etwas erholt zu haben und ging mir den Rest des Nachmittags einigermaßen zur Hand. Ungeachtet dessen kam mir der Tag länger und mühseliger vor als die anderen. Die Arbeit war dieselbe wie immer, daran lag es nicht. Nein, ich hatte wieder angefangen nachzudenken. Über der Sehnsucht nach Molly und unserem gemeinsamen Kind war ich unvorsichtig geworden und hatte vergessen, auf meine eigene Sicherheit bedacht zu sein. Jetzt kam mir wieder zu Bewusstsein, dass Edels Häscher mich verfolgten, und wenn es ihnen gelang, mich aufzuspüren, bedeutete dies meinen sicheren Tod. Meine Tochter würde dann niemals ihren Vater kennenlernen. Zu meiner eigenen Verwunderung erschien mir das schlimmer als die Aussicht, sterben zu müssen.
An diesem Abend setzte ich mich beim Essen weiter weg vom Feuer als sonst, auch wenn ich mich vor Kälte in meinen Umhang wickeln musste. An meine Schweigsamkeit hatte man sich gewöhnt. Die anderen dagegen redeten nach dem feuchtfröhlichen Abend in der Schänke noch mehr als sonst. Ich erfuhr vom guten Bier und schlechten Wein dort, und dass der ansässige Spielmann verständlicherweise nicht sehr davon erbaut gewesen war, als Merle ihm sein Publikum abspenstig machte. Die Mitglieder unseres Trecks schienen es als persönlichen Triumph zu empfinden, dass Merles Lieder bei den Dörflern solchen Anklang gefunden hatten. »Wirklich gut, muss man sagen, auch wenn du nichts anderes zu kennen scheinst als diese Bock’schen Balladen«, gab sogar Creece gönnerhaft zu. Merle nickte nur kurz zu dem fragwürdigen
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